Die Neue Zürcher Zeitung, 11.6.18 Ein SVP-Vorstoss für eine Räumung besetzter Häuser innert 48 Stunden ist im Zürcher Kantonsrat deutlich gescheitert. SVP, FDP und CVP setzen jetzt auf eine parlamentarische Initiative, die der Polizei mehr Zeit und Spielraum geben soll. Von einem «politischen Schaulaufen» sprach der freisinnige Kantonsrat Marc Bourgeois, und die AL-Politikerin Laura Huonker sah in der Diskussion eine Zeitverschwendung. Doch das Thema war zu brisant, um beiseitegeschoben zu werden: Es ging um den Umgang mit Hausbesetzerinnen und Hausbesetzern, vor allem in der Stadt Zürich. Der Kantonsrat debattierte während weit mehr als einer Stunde, es kam zu Zwischenrufen, Unmutsbezeugungen hüben und drüben, einem persönlichen Angriff plus Entschuldigung dafür. Der Ausgangspunkt waren die Querelen um das besetzte Koch-Areal in Zürich Albisrieden im Herbst 2016. Nachdem Nachbarn über 150 Lärmklagen eingereicht hatten und der Stadtrat für seine Passivität kritisiert worden war, wollten SVP und FDP per Motion im Kantonsrat eine härtere Praxis erzwingen. Sie wollten die Behörden verpflichten, eine besetzte Liegenschaft innert 48 Stunden zu räumen, wenn der Eigentümer Anzeige einreicht. Die Zeit des Wegschauens und der Toleranz müsse vorbei sein, sagte die Erstunterzeichnerin Nina Fehr Düsel (svp., Küsnacht) am Montag. Hausfriedensbruch sei ein Delikt, das geahndet werden solle. Ihr Mitunterzeichner und Kollege Roland Scheck (svp., Zürich) warf dem rot-grünen Zürcher Stadtrat eine «unappetitliche Klientelpolitik» vor. Er höhle das Gesetz aus, indem er Räumungen nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen wie dem Vorliegen einer Baufreigabe vollziehe. In Schecks Augen ist diese Praxis eine «Verluderung des Rechtsstaats». Die Forderung stiess aber auf starken Widerstand von Mitte-links. Gegen die strikte Zeitvorgabe sprach sich unter anderen Markus Schaaf (Zell) aus, EVP-Kantonsrat und Präsident des Verbands der Kantonspolizei. Die Frist wäre ein massiver Eingriff in das taktische Handeln der Polizei, sagte Schaaf. «Das gab es bisher noch nie.» Ob eine Räumung angezeigt sei, lasse sich nur an der Front beurteilen. Die verlangte Vorschrift wäre ein unnötiger und belastender Faktor. Ähnlich drückte sich der Polizist Ivo Koller (bdp., Uster) aus. Eine Frist wäre viel zu absolut und nicht umsetzbar, sagte er und schleuderte der SVP entgegen: «Sie setzen die Profilierung Ihrer Partei über das Wohl der Polizisten.»

Keine Frist, nirgends

Aus den gleichen Überlegungen wandte sich auch der Sicherheitsdirektor Mario Fehr (sp.) gegen den Vorstoss. Die Kantonspolizei müsste die besetzten Liegenschaften ausserhalb der Städte räumen. Es sei kein Zufall, dass sich im Polizeirecht keine einzige Frist finde, sagte er. Denn wer Polizisten an eine Frist binden wolle, gefährde sie. Bei der Vereidigung junger Polizisten verspreche er ihnen, sich für ihre Sicherheit einzusetzen. Das heisse unter anderem, «dass ich eingreife, wenn Schreibtischtäter denjenigen an der Front Vorschriften machen wollen». Die Motion schade der Polizei. Der Vorstoss scheiterte mit 90 zu 42 Stimmen deutlich. Nicht weniger als 33 Kantonsräte enthielten sich der Stimme, darunter die FDP-Fraktion. Ihr Sprecher Marc Bourgeois distanzierte sich von der 48-Stunden-Regel. Es sei nicht verboten, weiser zu werden, sagte er mit Blick auf die Kritik aus Polizeikreisen. Die Zielsetzung teile man aber nach wie vor. «Was wir erleben, ist staatlich tolerierter Diebstahl auf Zeit.» Dabei sei die Eigentumsgarantie in der Verfassung verankert. Die FDP setzt jetzt auf einen neuen Vorstoss, den sie mit SVP und CVP im April eingereicht hat. Darin ist von einer Räumung innert 72 Stunden unter «Wahrung der Verhältnismässigkeit und Sicherheit» die Rede. Die Chancen dieses Vorstosses stehen gut. Die drei Fraktionen verfügen über eine Mehrheit im Kantonsrat. Bei der Debatte ging es jedoch nicht nur um Polizeitaktik und Strafrecht. Von linker Seite ertönte auch der Vorwurf arroganter Machtpolitik. FDP und SVP wollten die Politik des Zürcher Stadtrats via Kantonsrat «übersteuern», sagte Rafael Steiner (sp., Winterthur). Die Wahlen hätten aber gezeigt, dass die Bevölkerung zufrieden sei. Der AL-Kantonsrat Markus Bischoff warf den Bürgerlichen vor, sie wollten die Stadt am Gängelband führen, wo sie sonst immer für die Gemeindeautonomie weibelten. «Am liebsten hätten sie wohl einen SVP-Statthalter.» Bourgeois erwiderte, der Kantonsrat habe die Pflicht, übergeordnetes Recht durchzusetzen. Und dies sei das Ziel.]]>