Der Tagesanzeiger, 24.6.18
Neue Front gegen links-grünes Zürich: Wie Bürgerliche via Kanton Einfluss auf die städtische Politik nehmen.
Als Mauro Tuena 2015 überraschend in den Nationalrat gewählt wurde, war er überwältigt. Weil ein Bubentraum in Erfüllung ging. Aber auch, weil der Stadtzürcher SVP-Mann – wie er schnell feststellte – endlich einmal zur Mehrheit gehören würde. 17 Jahre lang hatte Tuena im Stadtparlament politisiert – und fast immer verloren. Die Linke oder Mitte-links hatte stets die Mehrheit.
Das Gefühl der permanenten politischen Niederlage wird sich für die Bürgerlichen nicht so schnell verflüchtigen. SP, Grüne und AL haben bis 2022 die absolute Mehrheit in Stadt- und Gemeinderat. Dieses Gefühl kennen andere Sozialdemokraten und Grüne gut. Es sind jene, die im Kantonsrat sitzen, wo sie seit Menschengedenken minoritär sind. Ironischerweise politisieren sie am gleichen Ort, da sowohl der Gemeinde- wie der Kantonsrat im alten Rathaus tagen.
Kantonsrat als Lichtblick
Die Bürgerlichen haben aber Möglichkeiten, welche die Linken nicht haben. Sie können via Kanton (oder Bund) Einfluss auf die städtische Politik nehmen. Umgekehrt geht das kaum, weil die Gemeinde die niedrigste Staatsstufe ist. Lange waren es eher Politiker vom Land, die sich auf Zürich (und manchmal auch Winterthur) eingeschossen hatten. Bürgerliche Stadtzürcher wie die Freisinnigen Martin Vollenwyder und Urs Lauffer hatten im Kantonsrat den Reflex, «ihre» Stadt zu verteidigen.
Jetzt ist bei den städtischen Bürgerlichen, namentlich beim Freisinn, eine Politikergeneration herangewachsen, die ideologisch aufgerüstet hat. Ob Verkehrs-, Energie- oder Wohnbaufragen: Sie agierten streng aus der Opposition heraus und verloren in der Stadt eine Abstimmung nach der anderen. Für diese Generation ist der bürgerlich dominierte Kantonsrat ein Lichtblick.
FDP-Mann Marc Bourgeois zum Beispiel rutschte Ende 2015 direkt aus dem Gemeinderat in den Kantonsrat nach. Kaum zwei Monate im Amt, reichte er seinen ersten Vorstoss ein: Er will die Signalisationsverordnung so verändern, dass die Stadt auf den Kantonsstrassen nicht mehr autonom Tempo-30-Zonen einrichten kann. Bourgeois setzte sich mit 98 zu 71 Stimmen durch.
Seine Vorstösse Nummer 2 und 3 folgten kurz darauf und nahmen ebenfalls die Stadt ins Visier: «Chaoten statt Steuerzahler belasten» war eine Reaktion auf den Entscheid von AL-Stadtrat Richard Wolff, die Binz- und Labitzke-Besetzer nicht für Polizeieinsätze zu belangen. Erneut hatte Bourgeois Erfolg. «Durchsetzung geltenden Rechts in besetzten Liegenschaften» schliesslich zielte auf die Besetzer des Koch-Areals und war der erste einer Reihe von Vorstössen, die sich gegen die städtische Politik bei Hausbesetzungen richtete. Bei diesem Thema übernahm Nina Fehr Düsel (SVP) den Lead, indem sie Räumungen innert 48 beziehungsweise 72 Stunden forderte. Auch Fehr Düsel war direkt aus dem Gemeinde- in den Kantonsrat gewechselt.
Zu jenen, die auffällig viele Vorstösse zu Themen machen, welche die Stadt Zürich betreffen, gehören die SVP-Männer Roland Scheck und Roger Liebi, beide ehemalige Gemeinderäte, beide eine Zeit lang sogar im Doppelmandat. Meist thematisieren sie Verkehrsfragen und nehmen abgebaute Autofahrspuren oder geplante Velowege ins Visier. Scheck, inzwischen Geschäftsführer der kantonalen SVP, und der Stadtzürcher SVP-Nationalrat Alfred Heer waren auch die treibenden Kräfte hinter der Anti-Stau-Initiative, die den Strassenbau der Nachfrage anpassen und Kapazitätsabbau verunmöglichen wollte.
«Urknall» Spurabbau
Für Davy Graf, SP-Fraktionspräsident im Gemeinderat, waren die Initiative und weitere Vorstösse die direkten Folgen des nicht verhinderbaren Abbaus einer Autofahrspur beim Sechseläutenplatz – als «Verkehrs-Urknall» bezeichnet Graf die Niederlage des Regierungsrats gegen den Stadtrat vor dem kantonalen Verwaltungsgericht sogar. «Seither kämpfen die Bürgerlichen im Kantonsrat mit dem Zweihänder, um die Stadt auf ihre Linie zu bringen», findet er. Vor allem die FDP habe an Schärfe zugelegt. Um ihre rechte Flanke vor der SVP zu schützen, mutmasst Graf. Der «radikalisierte Freisinn» habe in der Stadt im Gegensatz zu früher nicht einmal mehr Budgets oder die Wohnbauaktion gutgeheissen.
In dieselbe Kerbe schlägt Markus Kunz, Fraktionschef der Grünen im Stadtparlament. Er ortet in der kantonalen Volksinitiative für die Nennung von Täternationalitäten in Polizeimeldungen einen weiteren Anti-Zürich-Vorstoss von Stadtzürchern auf kantonaler Ebene. «Es ist offensichtlich, dass die frustrierten Stadtzürcher Bürgerlichen unter dem Vorwand der kantonalen Interessen versuchen, politische Entscheide der Stadt zu kippen», sagt er. Am meisten stört Kunz, dass «vom Stadtzürcher Volk gewählte Politiker die Gemeindeautonomie torpedieren, die sie in ihren Sonntagsreden hochhalten».
«Die Stadt ist keine Insel»
Der angeschossene FDP-Mann Marc Bourgeois widerspricht heftig. «Ich vertrete im Kantonsrat die Stadtzürcher Freisinnigen und nicht die rot-grüne Mehrheit», stellt er klar und dreht den Spiess um. Die Rot-Grünen hätten sich in Zürich radikalisiert und wähnten sich «in einem gallischen Dorf», meint er. Seine Vorstösse zielten darauf, die Stadt daran zu erinnern, dass sie «keine Insel» ist: «Zürich sollte ein offenes Zentrum des Kantons sein und ist keine ‹Gated Community›», findet Bourgeois, also keine geschlossene Gesellschaft. Die Stadt funktioniere nur gemeinsam mit dem Umland. Die Landschaft übernehme auch Lasten wie Fluglärm, den auch Stadtzürcher verursachten. Entsprechend müsse die Stadt akzeptieren, dass der Kanton auch in seiner Zentrumsstadt übergeordnete Interessen habe.
SVP-Kantonsrätin Nina Fehr Düsel, die inzwischen in Küsnacht wohnt, sieht dies ähnlich. Sie räumt zwar ein, dass gewisse Vorstösse das Resultat der «schwierigen Verhältnisse» im Zürcher Gemeinderat seien – und im Kantonsrat erfolgversprechender. Gleichzeitig betont sie aber, dass es vor allem um Unterstützung gehe, etwa der Hauseigentümer und der Stadtpolizei im Kampf gegen Hausbesetzer.]]>