Tages-Anzeiger, 08. Februar 2021
Der Abstimmungskampf zu Polizeimeldungen und Sozialdetektiven wird richtig heiss – und Silvia Steiner hat einen Wunsch an den Tagi.
Die Rubrik «Gesehen & gehört» steht unter Beobachtung. Wie CVP-Regierungspräsidentin Silvia Steiner am Montag in der kantonsrätlichen Züspa-Halle in Oerlikon sagte, wird die Rubrik genaustens analysiert. In ihrer Rede zum 50-Jahr-Jubiläum des Frauenstimmrechts gab sie ihrer Hoffnung Ausdruck, dass die untervertretenen Frauen öfter darin vorkommen.
Wir nehmen uns die Aufforderung zu Herzen – nachdem wir die Zuckerschnecke gegessen haben, welche die Frauen im Rat verteilt haben. Die Schnecke symbolisierte nach der Berner Saffa-Ausstellung 1928 das Tempo in der Frage des Frauenstimmrechts, sagte Andrea Gisler (GLP) im Rahmen einer überparteilichen Fraktionserklärung.
Barbara Günthard Fitze (EVP) erinnerte daran, dass Neuseeland das Frauenstimmrecht 1893 eingeführt habe, und staunte darüber, das die Schweiz als älteste Demokratie gelte. Birgit Tognella-Geertsen (SP) wunderte sich, dass 1971 immer noch sechseinhalb Kantone Nein gesagt haben – unter anderem mit dem Argument, das Frauenwahlrecht sei unschweizerisch. Nina Fehr Düsel (SVP) lobte, wie «x Frauen vor uns» sich nicht von Anfeindungen hätten beirren lassen.
Sonja Rueff-Frenkel (FDP) mahnte, die zurückgelegte Strecke sei erst kurz: «Es liegt immer noch ein Stück des Weges vor uns.» Selma L’Orange Seigo (Grüne) rechnete vor, dass in 15 der 162 Zürcher Gemeinden keine Frau in der Exekutive sitze, eine Gemeinde ohne Männervertretung gebe es aber nicht. Melanie Berner (AL) thematisierte die «häusliche Gewalt», die vor allem männliche Gewalt gegen Frauen sei. Und Janine Vannaz (CVP) sagte, es sei gut, dass heute 74 Frauen im Kantonsrat unbequeme Fragen stellten. Anschliessend wurden die Frauen zusammen mit Carmen Walker Späh (FDP) und Jacqueline Fehr (SP) vor einer Statue der Iuno abgelichtet.
Nicht weit entfernt vom Geschehen ging es in einer Männerrunde hoch her. Jürg Sulser (SVP) hatte ein paar Corona-Testsets dabei, und nicht wenige versuchten sich im Rachenabstrich, was zu unwirtlichen Geräuschen führte. Das Stäbli musste mit vier Tropfen einer Flüssigkeit gemischt werden, bevor der Mix auf ein Plättli kommt. Bald wird das Resultat angezeigt – nicht unähnlich einem Schwangerschaftstest. Ein Stäbli: Covid-negativ, zwei Stäbli: positiv.
Das alles geschah unter Aufsicht von Arzt Josef Widler (CVP), der aber sogleich mahnte: «Negativ bedeutet, dass in diesem Moment in diesem Test keine Coronaviren drin sind.» Das dürfe aber keine Konsequenz haben auf das Verhalten: Abstand halten, Maske, Hygiene. Falls ein Test aber positiv gewesen wäre – was nicht der Fall war –, hätte Widler den Betroffenen sofort zum PCR-Test geschickt. Sulser jedenfalls war überzeugt. Nachdem der Unternehmer bereits ins Maskengeschäft eingestiegen war («Ich habe schon 30 Millionen verkauft»), wird er sich wohl auch im Testbusiness versuchen. 10 Franken soll der Antigentest kosten.
Nicht minder turbulent verläuft der Abstimmungskampf. Im Streit um die Nationalitätennennung ist einigen die Pressekonferenz von SP-Sicherheitsdirektor Mario Fehr am Freitag in den falschen Hals geraten. Am Wochenende glühten die Leitungen, am Montag gabs dazu sogar eine Fraktionserklärung der AL. Wie sich herausstellte, gab es Missverständnisse. Fehr hatte gesagt, die Nennung sei «nicht zwingend», wenn der Gegenvorschlag zur SVP-Initiative durchkomme. Damit meinte er, dass es Ausnahmen gebe: etwa aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes oder wenn jemand identifizierbar wäre. Oder auch bei Verkehrs- und Arbeitsunfällen. Zudem ist die Polizei nicht gezwungen, alle Taten zu melden. Die Gegner verstanden, dass die Stadtpolizei Zürich laut Fehr die Staatsangehörigkeit bei Straftaten nicht zwingend nennen müsse – was nicht stimmt: Initiative und Gegenvorschlag wollen, dass die Stapo die Nationalität von Tatverdächtigen nennt – bis auf die Ausnahmen.
Grün-grüner Zwist um Sozialdetektive
Eine seltsame Konstellation gibt es im Streit um die Sozialdetektive. In der linken Zeitung «P.S.» wirbt Grünen-Kantonsrätin Jeannette Büsser für die Vorlage, obwohl ihre Partei dagegen ist. Und ein Komitee ohne Autor hält dagegen und schreibt von «privaten Schnüfflern», die «ohne richterlichen Beschluss» observieren.
Dass es eine Genehmigung durch den Bezirksrat braucht, hatte aber ausgerechnet Büsser in die Vorlage gebracht – und damit die SVP und FDP derart verärgert, dass es zu einem Referendum von 49 bürgerlichen Gemeinden kam. Dass der Bezirksrat in einem solchen Fall eine richterliche Behörde ist, habe das Bundesgericht bestätigt, sagt Büssers Fraktionskollege und Bezirksrichter Beat Bloch (CSP).
Büsser und die Fraktion haben sich bei der Parolenfassung an der Mitgliederversammlung nicht durchgesetzt. «Ich bin eine Verantwortungsethikerin», sagt sie. «Ich erreichte, was möglich ist.» Gewonnen hätten aber die «Gesinnungsethiker», also jene, die stets das Ideale wollen. Etwas irritiert ist die Sozialarbeiterin mit langer Berufserfahrung vom Gegenargumentarium, da zumindest in Zürich keine Privatdetektive vorgesehen sind, sondern Beamte aus dem Sozialdepartement von SP-Stadtrat Raphael Golta.
Grünen-Co-Präsident Simon Meyer vom Komitee «Nein zu Sozialschnüfflern» räumt ein, dass die Stellungnahme im «P.S.» «keine sachliche Abhandlung» sei, sondern ein Abstimmungstext. Auch gesteht er, dass er schlaflose Nächte hatte vor der Versammlung. Aber Meyer steht dazu, ein Idealist und vor allem ein «Grundrechtler» zu sein. Von der Materie versteht er genauso viel wie Büsser, war er doch einst Mitglied der Sozialbehörde von Niederweningen. Natürlich hat er dort nie einen Sozialdetektiv losgeschickt: «Ich hätte mich geweigert.»