NZZ, 14.10.21

Andrina Trachsel und Nina Fehr Düsel haben sich einiges anhören müssen. Etwa, dass sie bloss sich selbst verwirklichen wollten. Oder dass sie aufständische Mamis seien. Die Kritik perlt an ihnen ab.

Eigentlich, das merkt man im Gespräch schnell, könnte sie auf den ganzen Trubel gut verzichten. Auf das Interesse der Medien. Auf die Aufmerksamkeit der Politik. Auf die vielen Mails, von denen längstens nicht alle positiv waren. Doch Andrina Trachsel hat einen Nerv getroffen.

Noch Anfang Jahr war Trachsels Name nur denen ein Begriff, die sich in der Velo-Szene auskennen. Die 38-Jährige aus Feuerthalen, ganz im Norden des Kantons Zürich, wurde 2019 Schweizer Meisterin im Ultracycling. 46 Stunden nonstop auf dem Rad, über 1000 Kilometer.

Nur zwei Frauen waren damals angetreten, und bloss Trachsel schaffte es überhaupt bis ins Ziel, angetrieben von Power-Gels, einem starken Willen und dem lieben Gott. Sie sei gläubig, sagt Trachsel, aber nicht religiös. «Religiös sein heisst, etwas zu müssen. Zu glauben heisst, von etwas überzeugt zu sein.»

Alles andere als überzeugt war die Mutter von drei Kindern von dem, was die Zürcher Bildungsdirektion Ende Januar wegen Corona anordnete: eine allgemeine Maskenpflicht an der Schule schon ab der vierten Primarstufe.

Trachsel fand das unnötig. «Kinder sind keine Treiber der Pandemie», sagt sie. Zusammen mit neun anderen Frauen setzte sie eine Petition auf. Die Maskentragepflicht für Kinder unter 12 Jahren im Kanton Zürich sei sofort aufzuheben. Masken für Kinder seien weder verhältnis- noch zweckmässig. In nur zehn Tagen kamen über 6000 Unterschriften zusammen.

Mit den Signaturen kamen die Schlagzeilen. «Aufstand der Mamis», titelte der «Blick». Dann kam die Kritik. «Es hiess, dass es uns um unsere Selbstverwirklichung gehe und dass wir das Virus nicht ernst nähmen», sagt Trachsel.

«Dabei sagt selbst der oberste Schweizer Impfchef Christoph Berger, dass es Masken an der Schule nicht brauche.» Das Virus hätten sie nie negiert, sagt Trachsel. «Uns ging es immer um die Verhältnismässigkeit der angeordneten Massnahmen. Diese war und ist insbesondere an den Schulen nicht gegeben.»

Delphinschützerin mit einem SVP-Hardliner als Vater

Eines dieser «aufständischen Mamis» ist auch Nina Fehr Düsel aus Küsnacht am Zürichsee. Sie gehört zum zehnköpfigen Petitionskomitee und ist wie Trachsel Mitglied der SVP. Mit Bittschriften hat die 40-Jährige Erfahrung. Schon als Primarschülerin, mit 11, 12 Jahren, sammelte sie Unterschriften gegen Delphinarien in der Schweiz, am Schluss waren es über 100 000, und ihre Forderung wurde im Parlament in Bern sogar in einer Motion aufgenommen.

Die Juristin und Kantonsrätin ist keine mediale Newcomerin. Die zweifache Mutter stand aber lange im Schatten ihres bekannten Vaters, des ehemaligen Zürcher SVP-Nationalrats Hans Fehr.

Als Nina Fehr Düsel Anfang 2014 für den Zürcher Stadtrat kandidierte, schrieb die NZZ, sie habe es vor allem wegen ihres Vaters und ihres guten Aussehens zu einiger Präsenz in Familienzeitschriften und Gratiszeitungen gebracht.

Die «Schweizer Illustrierte» hatte den Fehrs zuvor ein Porträt gewidmet. Bei der Tochter, immerhin eine Bewerberin für ein Exekutivamt in der grössten Schweizer Stadt, merkte die «SI» wenig zu ihrem politischen Programm an. Dafür schilderte das Blatt zentimetergenau, mit welchem Brust-, Taillen- und Hüftumfang sie einst als 17-Jährige an einem Modelwettbewerb teilgenommen hatte.

Als Nina Fehr Düsel Ende 2014 ihr erstes Kind erwartete, titelte der «Blick»: «SVP-Hardliner wird Opa».

Weder für ihre Herkunft noch für ihr Aussehen kann Nina Fehr Düsel etwas. Dass sie auf ihren Vater reduziert werde, sei sowieso vorbei. «Wir haben beide unseren eigenen Stil, sind inhaltlich aber oft derselben Meinung», sagt sie. «Vielleicht hat mir seine Bekanntheit einige Türen geöffnet, andere aber auch wieder verschlossen, doch inzwischen ist das kein Thema mehr.»

Die Wahl in die Zürcher Stadtexekutive verpasste Fehr Düsel, dafür zog sie 2015 in den Kantonsrat ein. Dort hat sie bis heute 26 Vorstösse eingereicht, 9 allein dieses Jahr. Ihre Themen sind Littering, die Strafverfolgung (Ausschaffung krimineller Ausländer, Vergewaltigungen), Bildung, Tierschutz und, seit 2021, Corona.

Ende August deponierte sie eine Anfrage zur Corona-Situation an den Schulen. Solche Vorstösse sind eigentlich dazu gedacht, von der Regierung Auskünfte zu erhalten, Fehr Düsels Papier aber ist vor allem ihr Credo zu allem, was ihr mit der Pandemie und den Schulen wichtig ist: Kein Impfdruck, Masken sind unnötig, Tests sind sinnvoll, aber müssen freiwillig sein.

Mit der Spritze in der Hand auf der Titelseite

Trachsel und Fehr Düsel sortieren sich im weiten Spektrum der Massnahmenkritiker dort ein, wo schulmedizinische und verfassungsrechtliche Argumente zählen. Von Esoterikern und Verschwörungstheoretikern distanzieren sie sich, von radikalen Impfgegnern auch.

Fehr Düsel ist geimpft, Andrina Trachsel hat sogar selbst schon Impfungen verabreicht: Sie arbeitete früher als medizinische Praxisassistentin in Schaffhausen. Auf einem Bild auf der Frontseite einer Ausgabe der «Schaffhauser Nachrichten» von 2009 ist Trachsel zu sehen, wie sie einer Kollegin eine Impfung gegen die Schweinegrippe in den Oberarm spritzt.

«Unser Stil ist sachlich und faktenbezogen», sagt Fehr Düsel. «Wir berufen uns auf wissenschaftliche Studien, auf eine freiheitliche Schweiz und die direkte Demokratie.» Eine gewisse Grundskepsis sei gerechtfertigt, ergänzt Andrina Trachsel. «Das Covid-Gesetz hat die Macht des Volks untergraben. Ich habe Verständnis für diejenigen, die deswegen auf die Strasse gehen.»

Der Bundesrat habe die Normalisierung versprochen, sobald alle Impfwilligen geimpft seien. «Doch statt der Lockerung kam die Zertifikatspflicht. Da ist es nicht erstaunlich, dass viele Leute verwirrt und verunsichert werden.» – «Die Fronten haben sich verhärtet», sagt Fehr Düsel. «Diese Gehässigkeit, dieses Emotionale, das ist schade.»

«Ich habe keinen Profilierungsdrang»

Corona hat engagierte Frauen wie Nina Fehr Düsel und Andrina Trachsel ins Bewusstsein der Menschen gehoben. Könnte dies ihre Chance sein? Könnten sich weitere Türen öffnen? Wer in zehn Tagen über 6000 Unterschriften für eine Masken-Petition sammeln kann oder 100 000 Unterstützer für die armen Delphine findet, kann offensichtlich etwas auslösen bei den Menschen.

«Die eidgenössische Ebene würde mich nach wie vor interessieren», sagt Fehr Düsel. Sie hat 2019 den Einzug in den Nationalrat um weniger als 3000 Stimmen verpasst. Die nächsten Wahlen sind 2023. «Man kann auf nationaler Ebene sehr viel bewirken, das hat man bei Corona gut gemerkt. Aber auch der Kantonsrat macht mir nach wie vor grosse Freude. Wir werden sehen.»

Und Andrina Trachsel? Steht sie, die Nordzürcher Agitatorin mit dem eisernen Durchhaltewillen, mit einem Bein schon auf der SVP-Liste für das Kantonsparlament? «Ich habe keinen Profilierungsdrang. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich jetzt unbedingt dort hineinmuss, nur weil ich zwei, drei Mal in den Medien war», sagt sie. «Ich bin offen für Politisches und sage nicht Nein. Aber ich muss es nicht erzwingen.»

Noch mehr als zwei, drei Mal in den Medien kommen dürfte das Thema Maskenpflicht. Zwar hat ein Zürcher Gericht die generelle Tragepflicht an Primarschulen vorerst aufgehoben. Für Kinder ab der vierten Primarklasse gilt jetzt nur noch eine Maskenempfehlung. Doch sobald es in einer Klasse positive Fälle gibt, müssen alle wieder Maske tragen. Und das gilt sogar für Erstklässler.

Der Aufstand der SVP-Mamis ist noch nicht zu Ende.