Pelz-Importverbot, Zollschranken für Fleisch und ein Pfand auf Aludosen: Die grösste Zürcher Partei sorgt im Kantonsrat für Verwunderung. Wer dahintersteckt.
«Ich wäre der Typ, der den Reichen den Pelzmantel versprayt», sagt Sandra Bossert, «zumindest als Jugendliche.» Sie lacht laut, als sie die Verblüffung der Journalistin bemerkt. «Doch, dazu wäre ich fähig gewesen», schiebt sie nach. Sie weiss, wie kurios diese Aussage angesichts ihrer Parteizugehörigkeit wirkt.
Sandra Bossert, 42, von allen nur Sandy genannt, ist SVP-Kantonsrätin und meistens «voll auf der Linie», wie sie selbst betont: Nein zum Energiegesetz, gegen eine Maskenpflicht an Schulen, für eine harte Asylpolitik. Aber sie ist auch Bäuerin und als solche stolze Besitzerin von rund 75 Kühen und 25 Jungtieren, zudem hält sie Hühner, Gänse, Schildkröten und zwei Katzen. Die Tiere gehören ihr, nicht ihrem Mann, das ist ihr wichtig. Sie ist es, die morgens und abends im Stall steht, er bewirtschaftet die Äcker und kümmert sich um die Maschinen.
Ein Leben ohne Tiere? «Niemals. Tiere haben mich immer begleitet.» Dass Tiere leiden müssen, weil der Mensch sie schlecht hält oder bloss an ihr Fell will? «Das macht mich hässig.» Nur: Bosserts Partei interessiert der Tierschutz wenig. Als die im Mai 2019 frisch in den Kantonsrat gewählte Landwirtin aus Wädenswil in der SVP-Fraktion vorsichtig antönte, man müsste doch eigentlich etwas tun gegen all die nutzlosen Pelzbommel und -bordüren an Kleidern, wurde sie erst einmal belächelt. Aber dann sprach sie mit Fraktionskollegin Nina Fehr Düsel darüber.
Unterschriften gegen Delfinarien
Fehr Düsel ist ein Jahr jünger als Bossert, Juristin, und jahrelang war sie vor allem: Tochter von «SVP-Motor» Hans Fehr. Auch sie ist «voll auf der Linie» – und sie teilt Bosserts Tierliebe. Aufgewachsen in Eglisau, weilte die kleine Nina oft auf dem Bauernhof der Grosseltern in Berg am Irchel. Als 14-Jährige sammelte sie Unterschriften für ein Verbot von Delfin-Shows in der Schweiz. Auf ihren Vater angesprochen, sagte sie dem «Beobachter» damals, sie würde «wenn schon den Grünen beitreten».
Sie tat es nicht. Geprägt durch «berufliche Erfahrungen am Gericht und in der Staatsanwaltschaft» wechselte sie ins bürgerliche Lager. 2014 kandidierte sie für die SVP als Newcomerin erfolglos für den Zürcher Stadtrat. Ein Jahr später schaffte sie den Sprung in den Kantonsrat. Dort trat sie unter anderem als Sicherheitspolitikerin in Erscheinung, das «Tochter von»-Image hat sie abgelegt.
Das Tierwohl war für Fehr Düsel kein Thema mehr – bis Sandy Bossert vier Jahre nach ihr in den Rat eintrat und irgendwann mit ihr über die Pelzbommel sprach. Und über tierquälerische Pelzfarmen. Die beiden Frauen waren sich auf Anhieb sympathisch. «Wir realisierten, dass wir zu zweit etwas erreichen können.» Fehr Düsel profitierte von Bosserts Engagement, Bossert von Fehr Düsels Erfahrung im Rat. In den vergangenen zwölf Monaten hat das Duo drei Vorstösse auf den Weg gebracht, hinter denen man keine SVP-Absender vermuten würde.
Konkret verlangen sie: erstens ein Verbot von Echtpelz-Importen. Zweitens eine Deklarationspflicht und Zollbeschränkungen für Fleisch, wenn die Tiere zuvor mehrtägige Transporte über sich ergehen lassen mussten. Diese beiden Vorstösse sollen in Form von Standesinitiativen in Bern eingereicht werden. Drittens regen sie einen Pilotversuch für ein Aludosenpfand im Kanton Zürich an. Auch hier geht es ums Tierwohl: Die neuerdings wieder beliebten Getränkebüchsen können böse, ja sogar tödliche innere Verletzungen bei Kühen auslösen, wenn sie beim Grasschnitt geschreddert und versehentlich verfüttert werden.
Stirnrunzeln bei den anderen Parteien
Im Kantonsrat sorgt die neue Tierliebe der SVP für Verwunderung und Stirnrunzeln. Immerhin verlangt die Zürcher SVP als grösste Kantonsratsfraktion eine Einmischung in Angelegenheiten, die Sache des Bundesparlaments sind – wo die SVP ebenfalls die grösste Fraktion stellt. Der Tenor aus den anderen Parteien ist daher: Wäre es der Zürcher SVP Ernst, könnte sie direkt in Bern aktiv werden, statt den Umweg über eine Standesinitiative zu wählen. Denn Standesinitiativen, muss man wissen, sind in Bern nicht gern gesehen. Schon gar nicht, wenn sie aus Zürich stammen.
Das ist aber nicht der einzige Grund, warum die anderen Parteien höchstens mässig begeistert reagieren. Da ist auch der unverhohlene Protektionismus in den beiden Standesinitiativen. Die FDP lehnt den Tiertransport-Vorstoss ab, weil sie keine neuen Zollschranken will. Die Linken stören sich daran, dass die SVP nur die Haltebedingungen im Ausland anprangert.
Zwar sei es zu begrüssen, dass sich nun auch eine bürgerliche Partei fürs Tierwohl einsetze, sagt Thomas Forrer, Fraktionschef der Grünen: «Da sagen wir natürlich Ja. Aber mit Umweltschutz oder dem Schutz der Artenvielfalt haben die Vorstösse wenig zu tun. Das sollte man nicht verwechseln.» Und Tierschutz müsse auch in der Schweiz stattfinden.
Ähnlich sieht es AL-Kantonsrätin Melanie Berner. «Ich kenne Sandy Bossert, ihr liegt das Tierwohl wirklich am Herzen», sagt sie. Bei der SVP als Partei sehe die Sache aber wohl etwas anders aus: Da gehe es eher um Wahlkampf. «Der Einsatz fürs Tierwohl ist die einfachste Art, sich ein bisschen grün zu geben.» Wo die SVP wirklich stehe, zeige sich bei den grossen Klima- und Umweltschutz-Vorlagen, welche die Partei regelmässig ablehne. Oder beim Widerstand gegen die Massentierhaltungsinitiative.
Der Respekt der SVP
Und wie sehen die Zürcher SVP-Kolleginnen und Kollegen die Vorstösse des Duos Fehr Düsel-Bossert? Dazu eine kleine Episode aus der Beratung zum Vorstoss, der eine Deklarationspflicht und Zollbeschränkungen für Fleisch aus mehrtägigen Tiertransporten verlangt. Während vorn am Rednerpult Nina Fehr Düsel über Rinder und Schweine sprach, die auf Schiffen und Lastwagen elend sterben, raunte Fraktionskollege René Isler einem Journalisten halblaut zu: «Falls du nicht mehr drauskommst – ich komme auch nicht mehr draus.»
Darauf angesprochen, sagt er dieser Zeitung, er finde es wichtig, dass die SVP nicht immer um dieselben Themen kreise: «Es ist gut, wenn sich jemand um den Tierschutz kümmert. Aber ich gebe zu, ich hätte diesen Vorstoss nicht gemacht. Oder jedenfalls nicht so.» Auf die beiden Initiantinnen lässt er allerdings nichts kommen: «Sandy ist sackstark, und Nina ist ein gescheites Haus.»
Massentierhaltung: Initiative zu extrem
Sandra Bossert sieht es so: «Klar gelten wir bei einigen als Weltverbesserer, aber ich bin ja nicht im Kantonsrat, um nur mitzulaufen.» Fehr Düsel widerspricht, Ablehnung habe sie nie wahrgenommen, im Gegenteil: «Wir haben uns Respekt verschafft, auch weil wir von der Basis viele positive Reaktionen bekommen. Und wir werden in Bern gehört.» Planen die beiden nun weitere Tierschutz-Vorstösse? Bossert lacht: «Mal luege.» Zusammenarbeiten wollen sie aber weiterhin.
Wie erfolgreich das Duo mit seinem Tierschutz-Engagement ist, muss sich noch zeigen. Der Kantonsrat hat den Vorstoss für ein Echtpelz-Importverbot vorläufig mit 101 Stimmen unterstützt, er dürfte eine Mehrheit finden. Anders der Vorstoss für Zollbeschränkungen und eine Deklarationspflicht für Fleisch aus tagelangen Tiertransporten: Den unterstützen nur die Grünen. Der Littering-Vorstoss wurde noch nicht beraten.
Übrigens: Die Massentierhaltungsinitiative der Grünen lehnen Fehr Düsel und Bossert als zu extrem ab.