Die linksextreme Gewalt gegen Polizisten nimmt zu. Nun beginnt die politische Aufarbeitung.

Linksextreme demonstrieren gegen Rechtsradikale in der Innenstadt, aufgenommen am Samstag, 12. Februar, in Zürich. Ennio Leanza / Keystone
Linksextreme sind am letzten Samstag durchs Zürcher Langstrassenquartier marschiert und haben eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Sie besprühten Wände mit Farbe, zertrümmerten Schaufenster und schlugen Scheiben von Polizeiautos ein. Wie hoch der Sachschaden ist, kann die Stadtpolizei noch nicht abschätzen. Laut der Mediensprecherin Judith Hödl gehen nach wie vor Anzeigen ein.

In der Zerstörungswut schreckte der Mob auch nicht vor Gewalt gegenüber Polizisten zurück. Die Demonstrierenden attackierten sie mit Flaschen, Steinen und Molotowcocktails. Sieben Polizisten wurden verletzt. Eine Person musste vorübergehend ins Spital. Hödl sagt: «Die meisten von ihnen erlitten Wunden, Prellungen und Schürfungen.» Ein Polizist sei mit einer unbekannten Flüssigkeit übergossen worden.

Die Polizei hat siebzehn Personen festgenommen. Von ihnen wurden zwei Männer und eine Frau wegen Drohung und Gewalt gegen Beamte der Staatsanwaltschaft zugeführt. Die anderen vierzehn sind wieder auf freiem Fuss. Für sie werde nun geprüft, welche Straftatbestände infrage kämen.

Bereits vor einem Monat kam es in Zürich zu einer Krawallnacht. Nach der Räumung des Koch-Areals zog ein Mob durch das Langstrassenquartier und richtete Schäden in der Höhe von über einer halben Million Franken an. Ein Polizist wurde bei den Ausschreitungen verletzt. Im Hinblick auf die Krawallnächte sagt die Stadtpolizei Zürich: «Wir nehmen die Gewalt gegen Sicherheitskräfte mit grosser Besorgnis zur Kenntnis. Es ist eindeutig eine steigende Tendenz erkennbar.»

Der Zürcher Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne) bereitet die Entwicklung Sorgen. Im SRF-Regionaljournal sprach sie von einer «neuen Dimension von Gewalt gegen Polizisten». Dass dies nicht mehr vorkomme, sei nun ihr oberstes Ziel. Was sie allerdings konkret dagegen unternehmen will, konnte sie noch nicht sagen. Zuerst wolle sie alles mit der Polizei abklären.

Nach der Demonstration im vergangenen Februar erklärte die Stadtpolizei, sie sei von der Gewalt überrascht worden. Und nun, am vergangenen Samstag, zeigte sich dasselbe Bild. Erst nachdem Meldungen bei der Polizei über einen Demonstrationszug eingetroffen waren, trat diese in Aktion.

Judith Hödl räumt ein: «Die Stadtpolizei hatte keine Kenntnisse über eine Demonstration, auch nicht, wo. Daher war es gar nicht möglich, präventiv vor Ort zu sein.» Dieses Mal sei im Vorfeld nicht zu einer unbewilligten Demonstration aufgerufen worden.

Nicht einmal der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) soll davon gewusst haben. «Wenn man dort Kenntnis von einer Demonstration gehabt hätte, wären diese Informationen zu uns geflossen», sagt Hödl.

Seit Jahren heisst es vom NDB, das Gewaltpotenzial der linksextremen Szene sei auf hohem Niveau. Auch der Lagebericht 2022 des NDB gelangt zu diesem Schluss. Im vergangenen Jahr wurden 202 Ereignisse mit linksextremistischem Hintergrund verzeichnet. Zum Vergleich: Im Bereich Rechtsextremismus waren es 38.

Das Gewaltpotenzial beim Linksextremismus ist grösser als beim Rechtsextremismus

Dem NDB gemeldete gewaltextremistisch motivierte Ereignisse seit 2015 (ohne Schmierereien).

Die Zürcher SVP-Kantonsrätin Nina Fehr Düsel nimmt die Polizisten in Schutz. In einer Fraktionserklärung sagte sie am Montag: «Die machen eine super Arbeit.» Dafür kritisierte sie die Polizeivorsteherin Karin Rykart und meinte, sie sei für die Ausschreitungen verantwortlich. «Die Deeskalationsstrategie von Frau Rykart, Linksextreme einfach gewähren zu lassen, ist gescheitert und führt zu immer mehr Gewalt», sagt Fehr.

Um den Linksextremismus in der Stadt Zürich einzudämmen, brauche es ein härteres Vorgehen – so wie die Anti-Chaoten-Initiative der Jungen SVP. Diese verlangt unter anderem, dass die Kosten von illegalen Demonstrationen inklusive Polizeieinsätzen und Sachbeschädigungen den Verursachern und Teilnehmern auferlegt werden können.

Das ging dem Zürcher Regierungsrat aber zu weit, weshalb er die SVP-Initiative vor drei Wochen ablehnte. Und einen Gegenvorschlag machte: Die Verursacher sollen künftig lediglich die Kosten von ausserordentlichen Polizeieinsätzen zwingend tragen.

Während der Regierungsrat und die SVP in Richtung stärkerer Repression tendieren, machte das links-grün dominierte Zürcher Stadtparlament noch vergangene Woche einen Schritt in die andere Richtung. Am Mittwoch entschied er, dass Teilnehmer von illegalen Demonstrationen nicht mehr gebüsst werden sollen. Zuvor wandelte er die Bewilligungspflicht für Demonstrationen in eine Meldepflicht um. Das sei das falsche Zeichen, meinte die SVP am Montag beim Schlagabtausch im Zürcher Kantonsrat.

Dies provozierte Widerspruch von links. Thomas Forrer (Grüne, Erlenbach) warf der SVP vor, die Situation mit Kalkül zu dramatisieren. Linksextreme Ausschreitungen seien in Zürich nicht an der Tagesordnung. Zudem habe Karin Rykart klar gemacht, dass sie jede Form von Gewalt verurteile – unabhängig davon, ob sie von ganz links oder ganz rechts komme.

Marc Bourgeois (FDP, Zürich) von der FDP konterte, dass Forrer offenbar die letzte Debatte im Zürcher Stadtparlament entgangen sei: Als es dort kürzlich um den Umgang mit Links- und Rechtsextremismus ging, setzte sich die Linke ausdrücklich dafür ein, nur rechte Gewalt in den Fokus zu nehmen. «Daher ist es lächerlich, wenn ihr jetzt sagt, man müsse beide Seiten anschauen.»

Für die Mitte-Partei sprach Josef Widler von einem «Trauerspiel» im Gemeinderat – es sei aber die Schuld der Polparteien von beiden Seiten, dass man nicht weiterkomme. Denn genauso wie die Linke ausschliesslich Rechtsradikale bekämpfen wolle, habe die SVP im Rat ausschliesslich Massnahmen gegen Linksradikale verlangt. Beide Male habe die Gegenseite den Antrag abgelehnt, gegen jeglichen gewalttätigen Radikalismus vorzugehen.

«Wir wissen alle, dass Gewaltexzesse nirgendwo hinführen und so keine politischen Ziele erreicht werden», sagte Thomas Marthaler (SP, Zürich). Er wies wie zuvor schon Markus Bischoff (AL, Zürich) darauf hin, dass es zur Zeit der Jugendunruhen auch unter einer repressiv vorgehenden bürgerlichen Stadtregierung Ausschreitungen gegeben habe. Es sei daher falsch, jetzt mit dem Finger auf jemanden zu zeigen und so zu tun, als fehle es an gesetzlichen Grundlagen, um gegen Extremismus vorzugehen.

Während Politikerinnen und Politiker über die Gründe der Gewaltexzesse streiten, steht schon bald der nächste Stresstest an: der 1. Mai. Die Stadtpolizei kündete an, die Erfahrungen von letztem Samstag in der Planung zum Tag der Arbeit zu berücksichtigen. Sie will die Lage unter Kontrolle haben.