Der Kanton wirft der Stadt vor, gegen Bundesrecht verstossen zu haben.
Schon heute ist die Fahrt auf der Bellerivestrasse in der Stadt Zürich für viele Pendler nervenaufreibend: Im Morgen- und Abendverkehr kommt es auf der wichtigsten Einfallsachse für Bewohnerinnen und Bewohner der Goldküste regelmässig zu Staus.
Dennoch plante das Sicherheitsdepartement unter der Leitung von Stadträtin Karin Rykart (Grüne) hier einen umstrittenen Verkehrsversuch. Von Mitte August bis Ende April 2024 sollte die Bellerivestrasse zwischen Falken- und Ida-Bindschedler-Strasse im Seefeld in beide Richtungen nur noch ein- statt zweispurig geführt werden.
Nun hat das umstrittene Projekt aber einen empfindlichen Dämpfer erhalten: Die Kantonspolizei verweigert die Bewilligung. Die Bellerivestrasse sei eine Durchgangsstrasse von überkommunaler Bedeutung und eine Hauptverkehrsstrasse, heisst es in einer Mitteilung vom Donnerstag. Der von der Stadt geplante Spurabbau würde neue Verhältnisse schaffen, die auch Auswirkungen auf den Verkehr ausserhalb Zürichs hätten.
Das Projekt könne «nicht lediglich in einem einfachen Signalisationsverfahren, ohne Publikation mit Rechtsmittelbelehrung, erfolgen». Vielmehr hätte der Verkehrsversuch in einem koordinierten Verfahren sowohl nach Signalisationsrecht als auch gemäss Strassengesetz publiziert und aufgelegt sowie – unter Einbezug des Kantons – festgesetzt werden müssen, schreibt die Kantonspolizei. «Auf eine Auflage mit Einspracheverfahren könnte gemäss Strassengesetz nur verzichtet werden, wenn es sich um ein Projekt von untergeordneter Bedeutung handelt.»
Eine Ausnahme oder spezielle Regeln für Versuche seien im Strassengesetz nicht vorgesehen. Beim geplanten Versuch handle es sich auch nicht um ein Projekt von untergeordneter Bedeutung. Das Vorgehen der Stadt Zürich verstosse damit gegen Bundes- und kantonales Recht sowie gegen weitere Bestimmungen.
Abbruchkriterien «grosszügig gewählt»
In der Verfügung zum geplanten Spurabbau lässt die Kantonspolizei kein gutes Haar am Vorgehen der Stadt. Offensichtlich war die Stadt von Anfang an davon ausgegangen, dass das Projekt auch ohne Zustimmung der Kantonspolizei durchgeführt werden kann – was die Polizei anders sieht.
Letztere lässt ausserdem durchblicken, dass gewisse Informationen zum Projekt erst nach und nach bei der Polizei eintrafen. So habe die städtische Dienstabteilung Verkehr erst im letzten Dezember auf Nachfrage der Kantonspolizei erklärt, dass der Versuch auch bauliche Massnahmen wie die Einrichtung einer Rampe, Trottoirabsenkungen oder die Aufhebung und Änderung von Mittelinseln umfasse. Im Januar habe die Kantonspolizei dann um weitere Informationen ersucht, es ging ihr etwa um die Kriterien, gemäss denen der Versuch abgebrochen würde.
Auch dazu findet die Kantonspolizei klare Worte. So sollte der Versuch unter anderem gestoppt werden, wenn sich die durchschnittliche Reisezeit zwischen Falkenstrasse und Seestrasse um mehr als sechs Minuten verlängert. Die Kriterien seien «derart grosszügig gewählt worden, dass damit eine Kapazitätsbeschränkung klar in Kauf genommen beziehungsweise wohl gar erwartet wird». Der Versuch verstosse auch wegen der «massiven Verlängerung der Reisezeit» gegen die Kantonsverfassung, schreibt die Polizei in ihrer Verfügung.
Trotz entsprechender Aufforderung habe es die Dienstabteilung Verkehr ausserdem versäumt, Stellungnahmen von betroffenen Gemeinden oder Interessenverbänden einzureichen. «Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass ein überwiegendes öffentliches Interesse am Versuch vorliegt.»
Stadträtin Rykart: «Ich bedauere diesen Entscheid»
Bei der Stadt ist man verärgert über den Entscheid der Kantonspolizei. Die Kantonspolizei habe den Versuch nur zwei Monate vor dem Start untersagt. Dadurch könnten wichtige Informationen für die künftige Verkehrsführung der stark befahrenen Strasse nicht erhoben werden, schreibt die Stadt in einer Mitteilung.
«Ich bedaure diesen Entscheid», lässt sich Karin Rykart, Vorsteherin des Sicherheitsdepartements, zitieren. «Mit dem Verbot wird eine einmalige Gelegenheit vertan.»
Die Kantonspolizei sei in einem transparenten Planungsverfahren immer einbezogen und mehrmals detailliert informiert worden, heisst es in der Mitteilung weiter. «Karin Rykart hat zudem im letzten Herbst und in diesem Frühling an Informationsanlässen mit allen Betroffenen aus den Quartieren und Nachbargemeinden und Vertreter*innen von Interessenverbänden alle Fakten zum Verkehrsversuch offengelegt.» Sie habe auch versprochen, den Versuch abzubrechen, sollte er wider Erwarten zu gravierenden Verkehrsproblemen führen.
Die Stadt ist zudem auch nach wie vor der Ansicht, dass der Versuch ohne Bewilligung des Kantons hätte realisiert werden können, wie Mathias Ninck, Sprecher des Sicherheitsdepartements, sagt.
Die Bellerivestrasse müsse in jedem Fall in wenigen Jahren erneuert werden, weil die Werkleitungen im Untergrund marode seien. Die heute bestehenden vier Spuren könnten nach der Sanierung nicht mehr gleich realisiert werden, da sie nach heutiger Norm zu schmal seien. «Wenn wir nun Trottoirs abbauen und Bäume fällen müssen, um mehr Platz für die Strasse zu schaffen, ist es zumindest fraglich, ob das im Interesse der Stadt ist», sagt Ninck. Mit dem Versuch hätte man herausfinden können, ob es eine bessere Lösung gegeben hätte.
Die Stadt hatte auf Studien verwiesen, wonach ein Spurenabbau nicht zu mehr Staus führen sollte, sondern höchstens zu Verzögerungen von bis zu zwei Minuten. Als Flaschenhals relevant für den Verkehrsfluss sei sowieso das Bellevue, betonte die Stadt. Dort wäre die Strasse zweispurig geblieben.
«Wir sind auf die Bellerivestrasse angewiesen»
Das konnte allerdings nicht alle Kritiker besänftigen. Ein bürgerliches Komitee von SVP bis Mitte lancierte eine Petition gegen den Spurabbau unter dem Titel «Nein zu unsinnigen Verkehrsversuchen und künstlichen Staus» und sammelte 11 000 Unterschriften. Und der kantonale Gewerbeverband befürchtete Einschränkungen für Gewerbetreibende in der Stadt.
Entsprechend erleichtert zeigt sich denn auch die Co-Präsidentin des Komitees Nina Fehr Düsel. «Wir haben den Entscheid der Kantonspolizei mit Freude zur Kenntnis genommen», sagt die Küsnachter SVP-Kantonsrätin. Gerade im Bezirk Meilen sei der geplante Spurabbau ein riesiges Thema gewesen – nicht nur bei bürgerlichen Politikern. «Da wir keinen Autobahnanschluss haben, sind wir auf die Bellerivestrasse angewiesen.»
Fehr Düsel ist überzeugt, dass der Spurabbau zusätzliche Staus auf der Strecke verursacht hätte, der gerade für die Gewerbler, die zwischen dem Bezirk und der Stadt pendeln, zum Problem geworden wäre. «Wir hatten deshalb gehofft, dass der Kanton die Sache unterbindet.» Die Stadt habe hier offensichtlich ziemlich eigenmächtig versucht, den Spurabbau durchzudrücken – ohne Einbezug des Kantons. Nun habe die Kantonspolizei aber in einer eingehenden Prüfung aufzeigen können, dass das Vorgehen nicht rechtens gewesen sei.
Fehr Düsel geht deshalb davon aus, dass auch ein allfälliger Rekurs der Stadt chancenlos wäre. «Ich hoffe, wir können den Spurabbau auf der Bellerivestrasse nun definitiv beerdigen.» Ein Problem für die Sanierung der Strasse sieht sie nicht. Es lasse sich problemlos eines der beiden wenig genutzten Trottoirs verschmälern. Und einen Velostreifen brauche es auch nicht: «Die Velofahrer benutzen heute schon die Mühlebachstrasse – so mache ich es selbst auch.»
Ein Rekurs ist wahrscheinlich
Die Stadt kann nun innert dreissig Tagen Rekurs gegen die Verfügung der Kantonspolizei einreichen. Und sie scheint gewillt zu sein, dies zu tun. Die Stadt Zürich werde voraussichtlich gegen den Entscheid der Kantonspolizei rekurrieren, heisst es in der Mitteilung. Das bedeute aber, dass der Versuch dieses Jahr auf jeden Fall nicht stattfinden werde.