20min, 07.05.2024

Eine junge St. Gallerin wird von ihrem Ex über Twint gestalkt. Möglich ist das, weil Betroffene Kontakte in der Bezahl-App nicht sperren können. Das muss sich ändern, finden Politikerinnen.

SVP-Nationalrätin Nina Fehr Düsel fordert, dass Twint etwas gegen Stalking unternimmt.
SVP-Nationalrätin Nina Fehr Düsel fordert, dass Twint etwas gegen Stalking unternimmt. 20min/Matthias Spicher
Dem schliesst sich Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan an.
Dem schliesst sich Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan an. 20min/Matthias Spicher
Auch SP-Nationalrätin Min Li Marti sagt, das Unternehmen müsse sich der Problematik stellen und Lösungen bieten.
Auch SP-Nationalrätin Min Li Marti sagt, das Unternehmen müsse sich der Problematik stellen und Lösungen bieten. 20min/Matthias Spicher
Darum gehts
  • S. (21) wird seit zwei Monaten von ihrem Ex-Freund über die Bezahl-App Twint gestalkt, weil dieser die Trennung nicht akzeptiert.
  • Er sendet ihr Minimalbeträge und unerwünschte Nachrichten.
  • Politikerinnen von links bis rechts fordern das Unternehmen auf, etwas zu unternehmen.
  • Denn die Twint-App bietet für die User keine Möglichkeit, Zahlungen und Nachrichten selbst zu blockieren. Sie müssen sich in Fällen von Belästigung an ihre Bank wenden, die dann eine Sperrung der Täterschaft veranlassen kann.

Die 21-jährige S.* ist verzweifelt: Seit zwei Monaten stalkt ihr Freund sie, weil er die Trennung nicht verkraftet hat. Obwohl sie ihn überall blockiert hat, hat er einen Weg gefunden, ihr Nachrichten zu schreiben: Er überweist ihr jeweils fünf Rappen über die Bezahl-App Twint und hängt dort seine Nachrichten an: «Du hast meine Hand losgelassen. Ich habe dir gesagt, dass ich deine nicht loslasse. Unsere Seelen bleiben verbunden.» So und ähnlich klingen die Nachrichten auf Schweizerdeutsch.

Um endlich Ruhe zu haben, hat sich S. an Twint gewendet. Ohne Erfolg: Eine Blockierfunktion gibt es nicht, die einzige Möglichkeit wäre laut dem Unternehmen, sich an die Bank zu wenden, die eine Sperrung eines Nutzenden veranlassen kann. «Ich fühle mich hilflos und habe Angst, dass er irgendwo auf mich wartet», sagt S.
Twint ist längst mehr als bloss ein Bezahldienst. Jetzt wird die App missbräuchlich auch als Stalking-Tool verwendet.
Twint ist längst mehr als bloss ein Bezahldienst. Jetzt wird die App missbräuchlich auch als Stalking-Tool verwendet. 20min/Sofie Erhardt

«Twint hat eine Verantwortung»

Dass Twint sich derart aus der Verantwortung zieht, ärgert auch Politikerinnen von SP, Grüne und SVP: «Technisch müsste eine Blockierfunktion gut umsetzbar sein. Plattformen wie Twint haben eine Verantwortung und ich erwarte, dass eine solche Funktion eingeführt wird, wenn die App missbräuchlich genutzt wird», sagt SVP-Nationalrätin Nina Fehr Düsel. Social-Media-Plattformen hätten das längst umgesetzt, zusammen mit einer Funktion, Missbrauch zu melden. «Twint müsste hier nachziehen.»

 

Beratungsstelle: «Täter verstehen nur eine Sprache»

Pia Allemann ist Co-Geschäftsleiterin der Beratungsstelle für Frauen gegen Gewalt in Ehe und Partnerschaft, BIF. Dass Stalkerinnen und Stalker immer neue Wege suchten, um ihre Opfer zu kontaktieren, sei bekannt. «Dass dies über Twint passiert, höre ich aber zum ersten Mal. Ich bin davon ausgegangen, dass es auf der App eine Blockierfunktion gibt. Twint muss diese Lücke schliessen und das möglichst rasch anbieten.»

Der 21-jährigen Betroffenen rät sie, Anzeige zu erstatten. «Wir sehen das leider häufig, dass Opfer warten und darauf hoffen, dass der Stalker oder die Stalkerin vernünftig wird. Das passiert aber leider meist erst, wenn das Opfer eine Anzeige erstattet. Die einzige Sprache, die Stalker verstehen, ist, wenn sich die Polizei oder die Strafverfolgungsbehörde einschalten», sagt Allemann.

Das sieht auch Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan so: «Eine Blockierfunktion wäre eine riesige Erleichterung für die Betroffenen und Twint könnte sich klar gegen die missbräuchliche Nutzung ihrer App für Stalking stellen. Twint sollte den Benutzerinnen diese Funktion zur Verfügung stellen.»

«Twint könnte sich gegen Missbrauch positionieren»

Dass derlei Missbrauch derzeit noch relativ selten vorkomme, sei keine Entschuldigung, nichts dagegen tun zu müssen: «Die Erfahrungen von solchen Fällen könnten von Twint als Chance genutzt werden, sich gegen Missbrauch zu positionieren und die Situation für die Betroffenen zu verbessern.»

Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan fordert von Twint, sich klar gegen Missbrauch zu positionieren und eine Blockierfunktion anzubieten.
Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan fordert von Twint, sich klar gegen Missbrauch zu positionieren und eine Blockierfunktion anzubieten. 20min/Matthias Spicher

SP-Nationalrätin Min Li Marti schliesst sich den Forderungen an: «Twint muss sich dieser Diskussion stellen und zumindest eine Meldestelle einrichten, an die Userinnen und User sich bei Missbrauch der App wenden können.» Es liege in der Verantwortung des Unternehmens, eine unkomplizierte Lösung anzubieten, damit Stalking und ähnlicher Missbrauch über die Twint-App nicht mehr möglich seien.

«Mit Straftatbestand können wir den Druck erhöhen»

Einig sind sich die Politikerinnen darin, dass es helfen würde, wenn es in der Schweiz einen Stalking-Straftatbestand gäbe. In den letzten 15 Jahren sind diesbezügliche Bemühungen immer wieder gescheitert. Vor einem Jahr hat sich die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats aber einstimmig für einen solchen Gesetzesartikel ausgesprochen. «Wenn Stalking endlich klar strafbar wird, haben wir auch für solche Fälle eine besser Handhabe. Sämtliche Plattformen, auf denen Nachrichten verschickt werden können, werden sicherlich auch von sich aus handeln», sagt Arslan.

Twint sagt auf Anfrage: «Wir nehmen solche Fälle sehr ernst. Nutzende, welche die App auf diese Weise missbräuchlich verwenden, müssen mit einer kompletten Sperrung ihrer App rechnen. Betroffene sollen den Fall ihrer Bank melden, die eine Sperrung der Täterschaft erwirken kann.»