tagesanzeiger, 23.09.2024

Der Bundesrat äusserst sich erstmals zur umstrittenen Suizidkapsel – und macht klar: Sarco darf nach heutigem Stand «nicht in Verkehr gebracht werden».

Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider spricht während der Herbstsession Klartext zu Sarco.
Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider spricht während der Herbstsession Klartext zu Sarco.
Foto: Anthony Anex (Keystone)

Im Juli rieben sich die Behörden im Wallis verwundert die Augen: Ausgerechnet in ihrem Kanton sollte die umstrittene Suizidkapsel Sarco ihre Premiere haben. Und zwar bereits innert weniger Tage. Der Kantonsarzt Cédric Dessimoz – er erfuhr durch die Medien von der angeblichen Premiere – griff sogleich durch und verhängte als vorsorgliche Massnahme ein Verbot. Die Premiere wurde abgeblasen, das Interesse an Sarco umso grösser.

Die ethischen Bedenken? Gross.

Die medizinischen? Noch grösser.

Die juristischen? Erst recht gross.

Nach monatelangen Diskussionen schaltet sich nun erstmals der Bundesrat ein. Angestossen durch SVP-Nationalrätin Nina Fehr Düsel, die als Mitglied der Rechtskommission schon früh Kritik an der Suizidkapsel äusserte und mit einem Verbot der Kapsel drohte. Sie wollte von SP-Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider wissen, wie es um die rechtlichen Voraussetzungen für die Einführung der Kapsel steht. Und wo die medizinischen und ethischen Herausforderungen liegen.

Am Montag hielt Baume-Schneider in der Fragestunde des Nationalrats nun fest: «Die Sarco-Suizidkapsel ist in zweierlei Hinsicht nicht rechtskonform.»

  • Produktesicherheitsrecht: Das Bundesgesetz stellt sicher, dass Produkte «gleich, welcher Art», Menschen nicht gefährden dürfen. Gemäss Baume-Schneider erfüllt Sarco die Anforderungen nicht «und darf nicht in Verkehr gebracht werden».
  • Verwendung von Stickstoff: Die Gesundheitsministerin hält fest, dass das Verwenden des Stickstoffs in der Suizidkapsel gegen das Chemikaliengesetz verstosse.

Das ist für die Anwendung von Sarco zentral: Die Kapsel funktioniert nämlich mittels Stickstoff. Die sterbewillige Person drückt einen Knopf, und das Gas strömt in das Innere der verschlossenen Kapsel. Die Person wird bewusstlos und stirbt an Sauerstoffmangel.

Eine Frage der Zuständigkeit

Obwohl Stickstoff eigentlich frei erhältlich ist, kam schon der Walliser Kantonsarzt zum Schluss, dass Stickstoff für die Sterbekapsel als Medikament zugelassen werden müsste. Die Heilmittelbehörde Swissmedic hingegen stellte nach eingängiger Prüfung fest, dass Stickstoff nicht die Anforderungen dafür erfülle. Und Swissmedic nicht zuständig sei.

Nun: Wie weiter?

Mitte Juli präsentierte die Organisation The Last Resort ihre Suizidkapsel in Zürich den Medien.
Mitte Juli präsentierte die Organisation The Last Resort ihre Suizidkapsel in Zürich den Medien.
Foto: Ennio Leanza (Keystone)

Baume-Schneider sagt, bei einem Verstoss gegen das Produktesicherheitsrecht müsse im Einzelfall geprüft werden, wer dagegen einschreite. Beim Chemikaliengesetz hingegen seien die Kantone zuständig, die bei einem Verstoss intervenieren müssten.

Wallis hält an Verbot fest

Damit liegt es nun an den Kantonen, einen Umgang mit einer allfälligen Anwendung von Sarco zu finden. Der Walliser Kantonsarzt Cédric Dessimoz sagt, er sei bis heute nie von den Sarco-Zuständigen kontaktiert worden – geschweige denn um eine Bewilligung gebeten. Auch auf das Verbot, das der Organisation per Einschreiben zugestellt wurde, habe es nie eine Rückmeldung gegeben. «Daher bleibt unser Verbot bis auf weiteres bestehen.»

Auch gegenüber den Medien hält sich die Organisation The Last Resort mittlerweile bedeckt. Auf mehrmalige Nachfrage dieser Redaktion, wann und wo eine angekündigte «Premiere» stattfinden soll, heisst es stets, man könne noch keine «endgültigen Aussagen» machen. Klar ist: Die Sterbehilfeorganisation scheut keine Strafverfahren. Damit habe man von Beginn an gerechnet, sagt ein Sprecher.

Cédric Dessimoz hat sich auch mit anderen Kantonsärzten und Kantonschemikern zu rechtlichen und ethischen Fragen ausgetauscht. Ein Fazit kann er noch nicht ziehen. «Einige Elemente sind noch unklar und müssen analysiert werden, sobald wir alle erforderlichen Informationen erhalten haben.»

Fiona Stewart, die Frau des Sarco-Erfinders Philip Nitschke, spricht im Juli in Zürich über die Suizidkapsel.
Fiona Stewart, die Frau des Sarco-Erfinders Philip Nitschke, spricht im Juli in Zürich über die Suizidkapsel.
Foto: Ennio Leanza (Keystsone)

Mit Baume-Schneiders Ansage ist nun auch klar, wer die Kantone dabei unterstützen müsste: Im Gesundheitsbereich ist für das Chemikaliengesetz auf Bundesebene das Bundesamt für Gesundheit (BAG) zuständig. SVP-Nationalrätin Fehr Düsel appelliert daher an das BAG, «den Kantonen bald Guidelines für Sarco durchzugeben».

Fehr Düsel ist mit der Antwort der SP-Bundesrätin auf ihre Fragen indes zufrieden. «Sie stimmt mich zuversichtlich. Denn es sieht nun klar danach aus, als ob das Geschäftsmodell in der Schweiz nicht bewilligt und daher auch nicht Fuss fassen wird.»

Eine Doppelkapsel ist in Planung

Die Sterbehilfeorganisation The Last Resort zeigt sich vom Widerstand in der Schweiz bislang unbeeindruckt. So kündigte die Organisation kürzlich bereits ihr nächstes Vorhaben an: eine Doppelkapsel. Wie die britische Boulevardzeitung «Daily Mail» berichtete, plant ein britisches Ehepaar, als erstes gemeinsam mit Sarco aus dem Leben zu scheiden – in der Schweiz. Das Paar stehe in Kontakt mit The Last Resort.

Auch dazu hält sich die Organisation auf Anfrage bedeckt. Man sei derzeit lediglich im Besitz von einem Sarco-Gerät. Was die Kapsel für zwei Personen angehe, so sei die Produktion «möglicherweise in Arbeit, scheint aber noch etwas Zeit zu benötigen».