Umstritten: Die Sarco-Suizidkapsel. Foto: The Last Resort
Während sich Politik und Kantone noch immer den Kopf über die umstrittene Suizidkapsel Sarco zerbrechen, kam es zur ersten Anwendung. Wie die Staatsanwaltschaft Schaffhausen am Dienstagmittag mitteilt, kam die Kapsel bei einer Waldhütte in Merishausen im Kanton Schaffhausen erstmals zum Einsatz. Eine Person nahm sich darin mit Stickstoff das Leben. Die Schaffhauser Polizei verhaftete daraufhin mehrere Personen, wie sie am Dienstag mitteilte.
Stattgefunden hat der begleitete Suizid offenbar gestern (Montag). Die Staatsanwaltschaft wurde kurz nach halb fünf nachmittags von einer Anwaltskanzlei informiert darüber. Ob diese Kanzlei in den begleiteten Suizid involviert war, kann der Erste Staatsanwaltschaft Peter Sticher auf Nachfrage dieser Redaktion nicht beantworten.
Amerikanerin reiste extra in die Schweiz
Neben der Schaffhauser Polizei – inklusive Kriminaltechnischen Einsatzdienstes – und Staatsanwaltschaft wurden auch Spezialisten des Forensischen Instituts Zürich und des Instituts für Rechtsmedizin Zürich (IRMZ) aufgeboten. Die Suizidkapsel Sarco wurde sichergestellt, die verstorbene Person zur Obduktion in das IRMZ gebracht.
Dabei handelt es sich um eine 64-jährige Amerikanerin, wie die niederländische Zeitung «NL Times» berichtet. Offenbar konnte die ebenfalls niederländische Zeitung «de Volkskrant» die erste Kapselanwendung begleiten und fotografieren – der Fotojournalist soll ebenfalls verhaftet worden sein.
Auch der Sarco-Erfinder und australische Sterbehilfeaktivist Philip Nitschke – der seit Jahren in Holland lebt – hat sich auf X (vormals Twitter) zur «Premiere» von Sarco geäussert. Gemäss Nitschke soll auch der Direktor der für Sarco zuständigen Sterbehilfeorganisation The Last Resort sowie zwei Anwälte festgenommen worden sein. Die Staatsanwaltschaft selber kommentiert nicht, wer verhaftet wurde – es würden sich aber Stand Dienstagnachmittag alle noch immer in Polizeihaft befinden.
Die Staatsanwaltschaft hat gegen mehrere Personen ein Strafverfahren wegen Verleitung und Beihilfe zum Suizid (Art. 115 StGB) eröffnet. Gemäss Sticher werden auch weitere mögliche Verletzungen von Straftatbeständen geprüft.
Bundesrat: Suizidkapsel Sarco nicht rechtskonform
Der Zeitpunkt ist brisant. Denn erst gestern sprach Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider Klartext zum Sarco – und sagte, dieser sei in zwei Bereichen «nicht rechtskonform». In der Fragestunde des Nationalrats durch eine SVP-Rechtspolitikerin darauf angesprochen, sagte Baume-Schneider, die Suizidkapsel erfülle die Anforderungen des Produktesicherheitsrechts nicht – und dürfe «nicht in Verkehr gebracht werden». Zudem sei die Verwendung von Stickstoff in der Kapsel nicht mit dem Chemikaliengesetz respektive dem Zweckartikel vereinbar.
Gehe es um das Produktesicherheitsrecht, müsste die Zuständigkeit im Einzelfall geklärt werden. Werde Stickstoff nicht entsprechend den Vorschriften verwendet, seien die Kantone zuständig, so Baume-Schneider. Nationalrätin Nina Fehr Düsel, die die Debatte angestossen hat, forderte gegenüber dieser Redaktion, dass der Bund den Kantonen Richtlinien für den Umgang mit Sarco durchgebe.
Erste Verbotsforderung aus dem Parlament
Auf den erstmaligen Einsatz angesprochen, sagt Fehr Düsel: «Offenbar versucht man sich hier an den gesetzlichen Verboten (Produktesicherheit und Chemikaliengesetz) vorbeizuschlängeln und in einzelnen Kantonen ein Exempel zu statuieren.» Das sei sehr bedenklich – und sie werde nächste Schritte unternehmen. «Ich werde somit ein Verbot prüfen und im Dezember eine Anfrage an die Bundesrätin stellen, wie ein solches Verbot dieser Sterbekapsel am zielführendsten umgesetzt werden kann.»
Dass Sarco sich einem Strafverfahren aussetzt, ist indes nicht überraschend. Nachdem Staatsanwaltschaften mehrerer Kantone im Sommer mit Verfahren gedroht hatten, stellte die Sterbehilfeorganisation The Last Resort, die dahintersteht, klar, dass man von Beginn an mit Strafverfahren gerechnet habe. Und diese in Kauf nehme. Auf eine Anfrage dieser Redaktion, warum es nun in Schaffhausen zum Einsatz der Kapsel kam, hat die Organisation bislang nicht reagiert.