Regierungsrat Mario Fehr berichtete über die Situation bei Polizei und Armee und erklärte, wie wichtig eine gute Ausrüstung sei. Bild: Roman Zwicky
Die SVP Gossau ZH lud Interessierte am 3. Oktober 2024 zum sicherheitspolitischen Anlass unter dem Titel «Krieg in Europa – eine starke Landesverteidigung, aus Liebe zur Heimat!» ein. Was nach einer Partei-Parole klang, entpuppte sich als ernstzunehmender, vielschichtig betrachteter Abend, der zum Nachdenken anregt.
Grosses Thema im kleinen Gossau
Bevor die offizielle Veranstaltung begann, wurde ein Film über die «Anbauschlacht» gezeigt, eine planmässige Förderung des agrarischen Mehranbaus zur Sicherung der Nahrungsmittelversorgung in der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs (siehe Info-Box). Eine Zeit, die man sich definitiv nicht wünscht.
Im Anschluss eröffnete der Gossauer SVP-Kantonsrat Daniel Wäfler die Veranstaltung. In dem gut gefüllten Saal war auch Regierungsrat Mario Fehr (parteilos) sowie SVP-Nationalrätin Dr. Nina Fehr Düsel zugegen. Ein weiterer Gast und Redner war der Militärhistoriker und Dozent an der Militärakademie Dr. Michael M. Olsansky.
Nach der Begrüssung übergab Daniel Wäfler das Wort an Regierungsrat Mario Fehr. In gewohnt guter Laune sagte er zum Publikum: «Ich hatte heute drei Möglichkeiten, den Abend zu verbringen: an der Eröffnung des Zurich Film Festival, als Götti vom Stier des nächsten kantonalen Schwingfests zusammen mit einer Ex-Miss-Schweiz, oder hier in Gossau.» Offensichtlich entschied er sich für die geschätzten 100 Seelen in der Festhütte Altrüti.
«Keine Sicherheit ohne Freiheit»
Dann wurde Fehr ernst. Es gebe keine Sicherheit ohne Freiheit. «Wir leben in einem freien Land, und wir wollen weiterhin in einem freien Land leben.» Kernaufgabe des Staates sei eben die Sicherheit – für alle Bürger, ob arm oder reich, ob links oder rechts, ob Gossau oder Stadt Zürich. Doch alles sei unsicherer geworden. Durch den Krieg in der Ukraine, durch die jüngste Eskalation im Nahen Osten, aber auch durch Ereignisse vor unserer Haustüre wie jüngst die Tat eines Chinesen, der in Oerlikon auf kleine Kinder eingestochen hat.
Trotz allem könne man sagen, dass der Kanton Zürich nach wie vor ein sicherer Kanton sei. Der Druck für die Kantonspolizei nehme aber zu, u.a. aufgrund der Jugendkriminalität. «Wir sind froh um die Unterstützung vom Parlament, mehr Polizisten anstellen zu können, und dankbar für den politischen Rückhalt», so Fehr.
«Die Armee muss solide finanziert werden»
Bezüglich Situation der Schweizer Armee sagt Fehr: «Der Kanton Zürich steht zur Armee, ich sowieso». Doch die Schweizer Armee seit nicht ausreichend ausgerüstet und erhalte zu wenig Aufmerksamkeit. Über das Konzept der Bodentruppen habe man gelacht, doch genau so finde jetzt der Krieg in der Ukraine statt: mit Häuserkämpfen. «Genau so findet der Krieg auch im Libanon statt.»
Doch langsam fände zum Glück ein Umdenken statt. Die Rekrutierungsquote habe wieder zugenommen und auch die Einstellung der Bevölkerung gegenüber der Armee habe sich gewandelt, so Fehr. Auch sehe er bei seinen Truppenbesuchen viele Secondos. «Diese Leute haben Anspruch auf eine gute Ausrüstung. Es kann nicht sein, dass man die Hälfte der Armee nicht einsetzen kann, weil sie keine Ausrüstung haben.» Die Armee müsse solide finanziert werden. «Das ist eine zentrale Staatsaufgabe.» Es brauche Planungssicherheit. «Beendet das Trauerspiel und rüstet die Armee richtig aus», so sein Appell in Gossau an die Adresse in Bern. Grosser Applaus im Saal.

«Geschichte ist kein Rasenmäher»
Im Anschluss an Regierungsrat Fehr referierte der Militärhistoriker Dr. Michael M. Olsansky. Einleitend erzählte er, dass er im «besten und modernsten Spital» auf die Welt gekommen sei, in Wetzikon. Applaus im Saal. Die ersten drei Jahre seines Lebens habe er im Zürcher Oberland verbracht. Seine Mutter war Primalehrerin in Rüti, sein Vater Arzt an der Höhenklinik in Wald.
Unter dem Titel «Die Landesverteidigung vor 80 Jahren und heute» gab Olsansky einen Einblick in die Schweiz zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Die Geschichte sei kein Rasenmährer, folge keinen einfachen Regeln. Die Geschichte sage auch nicht die Zukunft voraus. Trotzdem mache die Beschäftigung mit der Geschichte Sinn, weil Geschichte vieles erklären und aus der man Lehren ziehen könne.
«Zweiter Weltkrieg kam für die Schweiz zu früh»
Im Zweiten Weltkrieg, Anfang September 1939, seien 450’000 Wehrmänner in der Schweiz mobilisiert worden, die meisten mit 1’000 und mehr Diensttagen. Die Frauen leisteten in der Zeit mehr als 3,5 Mio. Dienststage auf freiwilliger Basis – «ohne Krippen- und Kita-Angeboten», sagte Olsansky ironisch. «Wir können dieser Generation nur dankbar sein.» Die Zeit sei geprägt gewesen von Angst, Verzicht, Mangel und Entbehrungen.
Die Schweizer Armee habe zu der Zeit keine Tanks, keine Abwehrwaffen, keine Flugzeuge gehabt. Erst Bundesrat Rudolf Minger sei Treiber einer verteidigungsfähigen Armee gewesen und habe das Militärbudget erhöht. Dazu konnten «Wehranleihen» gezeichnet werden, Staatsanleihen, die Zinsen abwarfen. Damit wurde Geld in die Kasse gespült, um Investitionen für die Armee zu tätigen, die sonst nicht möglich gewesen wären. Mit dem Geld von 250 Mio. Franken – für damalige Zeiten eine Riesensumme – konnte die Schweizer Infanterie einigermassen modernisiert werden.
Heute stecke man fast in der gleichen Lage. «Wir befinden uns in einer Vor-Konflikt-Zeit», so Olsansky. Dazu komme, dass aufgrund der aufziehenden Kriegsgefahr die Nachfrage gross und das Angebot begrenzt sei. Das gelte besonders für Kleinstaaten wie die Schweiz. «Wir sind für die Rüstungsindustrie wenig interessant und stehen ganz hinten auf ihrer Liste. Geld wäre vielleicht da, aber es kann nicht ausgegeben werden, weil es nichts zu kaufen gibt.»
Nicht nur Waffen, sondern auch Knowhow
Doch Landesverteidigung bedeute nicht nur gute Waffen. Denn Geld und Waffensysteme allein würden eine Armee nicht kriegstauglich machen. «Eine Armee muss auch die Möglichkeit haben, sich auszubilden.» Neue Systeme kennenzulernen und diese dann in den Prozessen anzuwenden, brauche Zeit. «Waffen sind das eine, aber das ganze auch zum Einsatz zu bringen, ist noch einmal etwas anderes.» Die Kriegswirtschaft sei – ebenso wie die militärische Vorbereitung – der zentrale Pfeiler für die Landesverteidigung. Die beste Technik bringe nur etwas, wenn die Leute sie auch anwenden können. Die Ausbildung der Armee dürfe darum nicht von einer reinen Finanzdebatte abhängen.
Man müsse dabei auch in «Worstcase-Szenarien» denken, ist Olsansky überzeugt. Diesbezüglich sei in den letzten zehn Jahren vieles schiefgelaufen. «In den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren werden wir mit Szenarien konfrontiert, die man sich heute noch nicht vorstellen kann.»

Vorstoss in Bundes-Bern
In der anschliessenden Podiumsdiskussion ging Nationalrätin Düsel auf ihren Vorstoss ein, den sie beim Bundesrat eingereicht hatte. Dabei ging es um die Frage, was die Strategie des Bundesrates bezüglich Armee sei und welche Armee der Bundesrat wolle. Die Anfrage wurde für dringlich erklärt und Ende September 2024 beantwortet. Der Bundesrat wolle die Verteidigungsfähigkeit erhöhen und Lücken schliessen, z. B. in der Luft- und Drohnenabwehr. Es brauche neue Flugzeuge und man sei sich auch der Wichtigkeit der Cyberabwehr bewusst.
Immerhin: Der Zahlungsrahmen von 1 % vom BIP zugunsten der Armee wurde vom National- und Ständerat gutgeheissen. Das sei wichtig, aber nicht viel. Im Jahr 1990 habe der Anteil 1,35 % vom BIP betragen. Im Jahr 2023 lag der Wert bei erschreckend tiefen 0.74 %. Als Vergleich: Die polnische Armee gibt 3 % vom BIP für ihre Armee aus.
Krieg in der Ukraine bereitet Sorgen
Diskutiert wurden im Podium auch der aktuelle Krieg in der Ukraine und die Neutralität. Olsansky: «Was, wenn sich der Ukrainekrieg ausweitet auf das ganze Baltikum? Was, wenn sich der stabile Staatenblock um die Schweiz auflöst?» Das könne schnell passieren. Der Bundesrat müsse sich die Frage stellen, was das für die Schweiz bedeuten würde, auch hinsichtlich Neutralität.
Wo ist der einstige Stolz der Armee?
Wo man einst stolz auf die Armee und die Teilnahme daran war, scheint das Engagement zugunsten der Schweiz heute eher belächelt zu werden. Warum? Düsel verortet dies u.a. in der Wirtschaft. Arbeitgeber seien wegen den Fehlzeiten nicht mehr so begeistert, wenn Mitarbeiter im Militär weiterkommen wollen. Früher sei das anders gewesen. Da wirkte sich der militärische Rang beim Job positiv aus. Es sei wichtig, dem Sorge zu tragen.
Olansky ist da eher skeptisch, ob diese Entwicklung noch verändert werden kann. «Eine Umkehr braucht nochmals ganz andere äussere Kräfte und Anstösse.» Die Menschen seien zu individualisiert, zu ökonomisch denkend.
Fehr hält dem entgegen. Es gebe durchaus wieder mehr Wehrwillige. 50 Prozent der Frauen, die Militärdienst leisten, würden weitermachen. Auch Secondos seien wertvoll und er müsse ihnen ein Kränzchen winden. Dabei erzählt er von einer Begegnung mit zwei Militärdienstleistenden mit tibetischer Herkunft. Er habe sie gefragt, warum sie Militärdienst machten. Sie antworteten: Die Schweiz hat uns damals aufgenommen, wir wollten etwas zurückgeben. «Das Militär muss wieder attraktiver werden», ist Fehr überzeugt. Moderne Geräte seien dabei wichtig.
Die Schweiz müsse ihre Stärken ausnützen, so Olsansky, aber «der Krieg, wie er sich international entwickelt, nimmt keine Rücksicht auf unser Milizsystem oder den Förderalismus.» Aktuell gebe es in 60 Ländern bewaffnete Konflikte. «Wenn Putin in der Ukraine einen entscheidenden Vorteil erreicht, wird er in den baltischen Staaten weitermachen. Ob die Schweiz dann parat ist?»
Dabei müsse man auch über die Neutralität sprechen. Es sei ein hohes Gut, doch Neutralität allein schütze die Schweiz nicht vor einem Krieg. Das habe die Geschichte mehrfach gezeigt. «Die Diskussion um eine vorsichtige internationale Anlehnung muss früher oder später geführt werden», so Olsansky.
Düsel ist der Meinung, dass man mit der Neutralität bisher gut gefahren und diese wichtig für die Glaubwürdigkeit der Schweiz sei. Fehr sagte dazu: «Man hat vergessen, wie man die Neutralität richtig bewaffnet.»
Das Fazit der Referenten: Es braucht eine kollektive Leidenschaft. Es braucht finanzielle Mittel. Und es braucht den Willen der Bevölkerung, sich für das Land Schweiz einzusetzen.
Anbauschlacht
Als Anbauschlacht bezeichnet wird die Förderung des agrarischen Mehranbaus und der Ertragssteigerung zur Sicherung der Nahrungsmittelversorgung bzw. zur Umstellung auf Selbstversorgung während des Zweiten Weltkriegs. Eine erste Ausweitung der Ackerfläche um 25’000 bzw. 12’500 ha war vom Bund für 1939 und 1940 noch im Rahmen der Krisenbewältigung und Kriegsvorsorge verfügt worden.
Die unmittelbar gesetzten Ziele erreichte die Anbauschlacht nur teilweise. Von der Selbstversorgung blieb die Schweiz weit entfernt. Immerhin stieg der Selbstversorgungsgrad von 52 % auf 59 %, verbunden allerdings mit einer Senkung der durchschnittlichen Kalorienmenge pro Person von 3200 auf 2200 kcal.
Der Nutzen der Anbauschlacht ging indes weit über die Sicherung der Ernährung hinaus. Mit ihrer Unterordnung aller unter ein gemeinsames Ziel förderte sie die gesellschaftliche Integration nachhaltig. Die Anbauschlacht wurde zum Symbol für die Volksgemeinschaft, den Widerstandswillen und die Selbstbehauptung der Schweiz.
Quelle: Historisches Lexikon Schweiz HLS