frankfurter allgemeine Zeitung, 14.10.2024

In der Schweiz ruft der erste Suizid in einer Sarco-Kabine Empörung hervor. Der Staatsanwalt erklärt nun erstmals, warum der Tatbestand der Selbstsucht erfüllt sein könnte. 
Von Sebastian Eder

 


Der Erfinder und sein Werk: Philip Nitschke legt sich im Juli in den Niederlanden in eine Sarco-Suizidkapsel.

Dafür dass es Philip Nitschke angeblich nicht ums Geldverdienen geht ist sein zentrales Werk ziemlich teuer. 80 Euro kostet sein Buch „Die friedliche Pille“ das in seinem Geburtsland Australien verboten ist. Die Leser finden darin Anleitungen zu angeblich besonders sanften Suizidmöglichkeiten. Zum selben Thema bietet Nitschke Onlineworkshops für 50 Euro an. Eine lebenslange Mitgliedschaft in seiner Sterbehilfe-Organisation „Exit International“ kostet 1000 Dollar. Über eine Firma der es angeblich ums Bierbrauen ging verkaufte er sogar mal Stickstoff mit dem sich Menschen dann dank seiner Anleitungen das Leben nehmen konnten.
„Wir finanzieren uns quer denn die Leute können es besser akzeptieren wenn wir Informationen über das Sterben verkaufen als das Sterben an sich“ sagte Nitschke dem Magazin „brand eins“ 2020. Schon Tausende Menschen hätten sich mit seinen Methoden das Leben genommen. Für ihn gebe es nur zwei Kriterien die für einen „rationalen Suizid“ erfüllt sein müssten: „Die Person muss volljährig und bei vollem Verstand sein.“ Das heißt auch: Sie kann völlig gesund sein.
Nitschke setzte 1996 als weltweit erster Arzt in Australien einem todkranken Patienten legal eine tödliche Spritze als das dort kurz rechtlich möglich war. „Dr. Tod“ nannte man ihn danach. Als der Widerstand gegen seine Methoden in Australien größer wurde verbrannte er 2015 seine medizinischen Zertifikate und zog in die Niederlande. Dort ist er mit seinen Aktionen lange gut durchgekommen. Aber jetzt hat er es womöglich übertrieben. Anfang Oktober wurde sein Büro in Haarlem durchsucht. Ermittler beschlagnahmten wegen eines Rechtshilfe ersuchens der Schweizer Justiz Computer und den Prototyp einer Suizidkabine die Nitschke entwickelt und Sarco genannt hat.
Ende September hatte sich eine 64 Jahre alte Amerikanerin als erster Mensch in solch einer Kabine im Schweizer Kanton Schaffhausen das Leben genommen. Dabei hatte die Staatsanwaltschaft des Kantons den Sarco-Betreibern schon im Sommer schriftlich mitgeteilt dass ihnen bei einem Einsatz der Kapsel ernsthafte juristische Konsequenzen drohten und „zwingend“ ein Strafverfahren eingeleitet werden müsse. So kam es dann auch: Vier Personen wurden nach dem Suizid an Ort und Stelle verhaftet eine sitzt immer noch in Haft. Es ist Florian Willet Leiter der Organisation „The Last Resort“ die von Nitschkes Mitstreitern in diesem Jahr in der Schweiz gegründet wurde um die Sarco-Kabine einzusetzen.
In der Schweiz ist Sterbehilfe erlaubt. Aber „wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet wird (…) mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft“ so steht es im Strafgesetz buch. Wegen dieses Vorwurfs ermittelt die Schaffhauser Staatsanwaltschaft jetzt gegen die Sarco-Betreiber. Der zuständige Staatsanwalt erklärt auf Nachfrage gegenüber der F.A.Z. dass dieser Tatbestand nicht nur dann erfüllt sein könne wenn man finanziell davon profitiere jemandem beim Suizid zu helfen. Das weist „The Last Resort“ nämlich zurück: Die Amerikanerin habe nur wenige Euro für den Stickstoff zahlen müssen der sie dann tötete – Stichwort Querfinanzierung.
Der Staatsanwalt sagt: „Nicht nur finanzielle sondern auch affektive Gründe können eine Selbstsucht begründen – zum Beispiel wenn jemand seine Handlungen bestens dokumentiert und dafür extra Journalisten aus Holland mitnimmt.“ Eine Frau die als erster Mensch Suizid in der Kapsel begehen wollte hatte den Sarco-Betreibern in diesem Sommer vorgeworfen sie zu Medienterminen gedrängt zu haben um das neue Produkt zu bewerben. Sie stieg letztlich nicht in die Kapsel.
Wie der erste Sarco-Einsatz Ende September dann ablief konnte man detailliert in „De Volkskrant“ nachlesen eine Fotografin der niederländischen Zeitung war am Tatort ebenfalls verhaftet worden. Der entsprechende Artikel wurde auch auf Englisch veröffentlicht. Auf dem Bild zum Text ist die Amerikanerin von hinten vor der Kabine zu sehen die neben einer Waldhütte im Kanton Schaffhausen nahe der deutschen Grenze platziert wurde. Nachdem sie die Kabine betreten hatte musste die Amerikanerin drei Fragen auf einem Display beantworten: „Wie ist Ihr Name?“ „Wo sind Sie?“ Und: „Wissen Sie was passieren wird wenn Sie diese Taste drücken?“ Dann erschien auf dem Display ein letzter Satz: „Wenn Sie sterben möchten drücken Sie jetzt den Knopf.“ Sie drückte den Knopf. Stickstoff strömte so lange in die Kapsel bis kein Sauerstoff mehr übrig war.
Nitschke der offiziell nur als „technischer Berater“ von „The Last Resort“ fungiert verfolgte das alles laut „De Volkskrant“ aus Deutschland über eine Kamera in der Kabine und einen Monitor der Herz- und Sauerstoffdaten der Frau anzeigte. Vorher war er einem Schweizer Medienbericht zufolge noch an Ort und Stelle in dem Wald in der Schweiz gewesen und hatte den Sarco „enthüllt“ der vorher mit grünen Planen getarnt war. Erst dann sei er über die Grenze nach Deutschland geflohen um sich vor Strafverfolgung in Sicherheit zu bringen. Schaffhausen sei für die Sarco-Premiere extra wegen seiner Nähe zur deutschen Grenze ausgewählt worden. „Es lief genau so ab wie wir es erwartet hatten“ sagte Nitschke später.
Zwei Minu ten nachdem die Frau den Knopf gedrückt habe habe sie das Bewusstsein verloren nach fünf Minuten sei sie tot gewesen. Nur ihr Arm habe etwas gezuckt. Vor ihrem Tod soll die Amerikanerin eine rund vierminütige Stellungnahme gegenüber einer Rechtsanwältin abgegeben haben in der sie ihren Sterbewunsch wegen einer schweren Krankheit bestätigt habe. Die Rechtsanwältin war Fiona Stewart Leiterin bei „The Last Resort“ – und Ehefrau von Philip Nitschke.
Ingrid Hieronymi ist froh dass die Kabine eingesetzt wurde. Die 66 Jahre alte Schweizer Aktivistin berät „The Last Resort“ seit Anfang des Jahres vor allem bei der Kommunikation rund um den Einsatz der Sarco-Kapsel in ihrem Heimatland. Sie hat dabei vor allem mit Fiona Stewart zu tun. Auch nach den Verhaftungen hat Hieronymi weiter Kontakt mit der Organisation. „Die sind schon etwas schockiert davon wie die Schweizer Behörden jetzt reagiert haben“ sagt Hieronymi. „Sie haben ja nichts anders gemacht als die anderen Organisationen die in der Schweiz seit Langem Sterbehilfe anbieten – außer dass die Ärzte ausgelassen wurden.“
Genau das findet sie persönlich gut. „Ärzte haben in der Schweiz gemäß den Vorgaben ihrer Standesorganisation Probleme Rezepte über das herkömmliche Medikament für den Suizid auszustellen für Personen die nicht an einer tödlichen Krankheit leiden.“ Es gebe aber auch Personen die keine tödliche Krankheit haben sondern zum Beispiel sterben wollten weil sie im Alter nur noch vor sich hin vegetierten. „Die kriegen das Rezept nicht“ sagt Hieronymi. Zum Teil müsse noch ein Psychiater hinzugezogen werden um zu bestätigen dass keine psychische Krankheit vorliege. „Das möchten nicht alle.“ Oft würden außerdem Familienangehörige „gemeinsame Sache mit Ärzten“ machen dann sei der Weg zu dem Medikament völlig blockiert.
Für einen Tod im Sarco müsse man hingegen keinen „Gang nach Canossa“ antreten. „Wir Babyboomer sind es gewohnt unser Leben völlig selbstbewusst zu gestalten. Wir wollen uns dieses Gestaltungsrecht nicht ausgerechnet beim Sterben nehmen lassen“ sagt die 66 Jahre alte Aktivistin. Vor dem Suizid in der Sarco-Kabine müsse ein Arzt lediglich feststellen dass man urteilsfähig sei. „Da kann ich einfach zum Arzt gehen und sagen ich brauche ein Urteilsfähigkeitszeugnis – ohne zu sagen dass ich sterben möchte.“ Ob so nicht auch kerngesunde Menschen Suizid begehen könnten? „Das kann schon sein“ sagt Hieronymi. „Aber wie können wir uns in einen anderen Menschen hinein versetzen und zum Beispiel beurteilen ob bestimmte Schmerzen für ihn unerträglich sind? Das kann niemand außer dieser Person selbst beurteilen.“
Ganz anders sieht das Nina Fehr Düsel. Die SVP-Politikerin ist Juristin und seit 2023 Mitglied des Nationalrats in der Schweiz. Sie hatte ausgerechnet an dem Tag an dem der Sarco zum ersten Mal zum Einsatz kam bei einer Fragestunde Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider zu der Suizidkapsel befragt. Die Innenministerin antwortete deutlich: „Der Sarco ist nicht rechtskonform.“ Er erfülle die Anforderungen des Produktsicherheitsrechts nicht zudem sei diese Art der Verwendung von Stickstoff nicht mit dem Chemikaliengesetz vereinbar. Düsel sagt: „Medizinisch rechtlich und ethisch ist das alles fragwürdig. Und es ist auch ein sehr einsamer Tod.“ „The Last Resort“ ist für Fehr Düsel „dubios“. „Dahinter steht eine ausländische Organisation die versucht mit dem Image der Schweiz zu werben und dafür sogar eine Kuh im Logo nutzt. Es war klar dass das nicht erlaubt ist bei uns trotzdem versuchen die das einfach durchzuboxen. Da geht es auch um Provokation um mediale Aufmerksamkeit.“
Dass die Anwältin der Organisation die Ehefrau des Erfinders der Kapsel sei lasse sie daran zweifeln ob rechtlich alles wirklich so gut abgeklärt worden sei. Und dass in dem Prozess kein Arzt involviert sei hält sie für unverantwortlich. Bei den etablierten Sterbehilfeorganisationen in der Schweiz würden Mediziner immer sicherstellen dass die Betroffenen wirklich urteilsfähig und krank seien und die Angehörigen involvieren. „Darüber hinaus brauchen wir keine neue Organisation die den Sterbetourismus anheizt“ sagt Fehr Düsel. Sie hat jetzt eine sogenannte Motion im Nationalrat eingereicht mit dem Ziel ein Verbot des Sarco-Einsatzes zu prüfen. Aus ihrer Sicht könnte das am ehesten durchgesetzt werden indem man es verbietet Stickstoff für Suizidzwecke einzusetzen. „Das ist eine sehr umstrittene Methode“ sagt sie.
Der Arzt und Medizinethiker Ralf Jox sagte dazu gegenüber Schweizer Medien: „Es ist nach aktuellem Kenntnisstand nicht auszuschließen dass es hier zu Erstickungsgefühlen kommt.“ Zumindest scheine diese Methode nicht ausreichend erprobt. Anfang des Jahres hatte die erste Hinrichtung mit Stickstoff in den USA weltweit Empörung hervorgerufen nachdem der zum Tode Verurteilte sich mit dem Start der Stickstoffzufuhr gewunden und gezittert hatte. Nitschke sagte dazu dass der Tod durch Stickstoff nur dann friedlich sei wenn der Betroffene bereit sei daran teilzunehmen und tiefe gezielte Atemzüge zu machen.
Am Montag teilte „The Last Resort“ mit dass man den Bewerbungsprozess für Suizide im Sarco erst mal gestoppt habe. 371 Menschen hätten sich bis dahin schon um einen Platz bemüht. Die Organisation betonte auch noch einmal dass beim ersten Sarco-Einsatz keine selbstsüchtigen Motive vorgelegen hätten die Amerikanerin geistig voll auf der Höhe gewesen sei freiwillig gehandelt und den Suizid selbst begangen habe. All das könne man beweisen. „Die Anwälte von ‚The Last Resort‘ haben kategorisch erklärt dass niemand ins Gefängnis geschickt wird wenn der Sarco eingesetzt wird“ heißt es auf der Homepage der Organisation. Der zuständige Staatsanwalt bestätigte hingegen am Donnerstag dass Florian Willet weiter in Untersuchungshaft sei. Seine Anwälte seien dagegen auch nicht juristisch vorgegangen. Bis Samstag hätten sie das noch gekonnt bevor der Bescheid über drei Monate U-Haft rechtskräftig wurde. „Es ist aktuell sicher nicht geplant ihn gehen zu lassen“ sagte der Staatsanwalt.