tagesanzeiger, 23.10.2024

Eine erste Selbsttötung in der Suizidkapsel Sarco löst eine neue Sterbehilfedebatte aus. Braucht es Verbote? Neue Gesetze? Der «Club» suchte nach Antworten und kam auf einen kühnen Gedanken.

«Wem gehört unser Leben? Wem unser Sterben?»: «Club» mit (v.l.) Celina Schneider, Barbara Lüthi, Marion Schafroth und Heinz Ruegger.
«Wem gehört unser Leben? Wem unser Sterben?»: «Club» mit (v.l.) Celina Schneider, Barbara Lüthi, Marion Schafroth und Heinz Ruegger.
Foto: SRF

Das Thema ist hochemotional, die Aufregung im Land hell und gross, seit Wochen schon. Für die einen ist der Tod in der Suizidkapsel Sarco «inhuman», für die anderen repräsentiert das futuristische Gerät, in dem Sterbewillige auf Knopfdruck dahinscheiden können, die Zukunft der Sterbehilfe. Der «Club» vom Dienstagabend bemühte sich unter dem Titel «Sarco – Sterbehilfe für alle» um Sachlichkeit – was nicht durchwegs gelang.

«Wem gehört unser Leben? Wem unser Sterben?» Moderatorin Barbara Lüthi eröffnete die Runde mit den ganz grossen Fragen. Die Zürcher Bestatterin Celina Schneider berichtete vom Suizidtod ihrer Mutter, davon, wie diese dank Sterbehilfe «selbstbestimmt und in Würde» aus dem Leben scheiden konnte. «Meine Mutter zog auch einen Suizid in der Sarco-Kapsel in Erwägung», sagte Schneider, «sie entschied sich aber schliesslich für eine Begleitung durch Exit.» Auch wenn die Suizidkapsel sie selbst sehr befremde, so Schneider, hätte sie es akzeptiert, wenn der Entscheid ihrer Mutter auf Sarco-Methode gefallen wäre.

Der Erfinder von Sarco: Der australische Sterbehilfeaktivist Philip Nitschke in seiner Suizidkapsel (8. Juli 2024).
Der Erfinder von Sarco: Der australische Sterbehilfeaktivist Philip Nitschke in seiner Suizidkapsel (8. Juli 2024).
Foto: AP

Wie sehr das futuristisch anmutende Suizidgerät polarisiert, zeigte sich gleich am zweiten Votum an diesem «Club»-Abend. «Ich empfinde diese Kapsel schlicht als pervers», sagte der Churer Alterspsychiater Raimund Klesse, der nicht nur Sarco ablehnt, sondern der Sterbehilfe generell äusserst kritisch gegenübersteht. Die Zahl der begleiteten Selbsttötungen nehme in der Schweiz besorgniserregend stark zu: «Dieser Hype des assistierten Suizids muss aufhören», forderte Klesse.

Bereits vor einigen Wochen verlangte die Zürcher SVP-Nationalrätin Nina Fehr Düsel ein Verbot des Suizidgeräts. Im «Club» wiederholte sie ihre Argumente: «Ein Tolerieren dieser Kapsel wird den Sterbetourismus ankurbeln, noch mehr Sterbewillige werden in die Schweiz kommen.» Zudem bringe Sarco das Land als Testgelände für zweifelhafte Suizidmethoden in Verruf. 

Die Rolle der Ärzte

Leider wurde Hieronymi weder von der Moderatorin noch den Gästen mit den Zweifeln namhafter Experten konfrontiert, dass der Erstickungstod in Sarco, ausgelöst durch die Flutung der Kapsel mit Stickstoff, tatsächlich so human und würdig sei, wie dies «Last Resort» behauptet. In den USA wurde der vermeintlich schmerzfreie Tod durch Stickstoff Anfang 2024 das erste Mal als Hinrichtungsmethode verwendet – der Todeskampf des Verurteilten, der den Stickstoff über eine Maske inhalierte, dauerte angeblich 22 Minuten.

Schafroth mahnte zu mehr Gelassenheit in der Debatte und warnte vor politischem Aktivismus. Es sei äusserst unwahrscheinlich, dass massenweise Sarcos zum Einsatz kommen würden. «Möglicherweise werden sich einige Menschen für diese Methode entscheiden», sagte Schafroth. «Die Mehrheit der Sterbewilligen wird jedoch weiterhin begleitet von Angehörigen, nicht isoliert in einer Kapsel, sterben wollen.»

Ist das Aufheben um Sarco übertrieben? Theologe Rüegger wies darauf hin, dass heutzutage ohnehin die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer selbst bestimme, wann sie sterben möchten. Nicht durch einen Suizid, sondern dadurch, dass sie im Krankheitsfall im Alter auf medizinische Unterstützung verzichten.

Der Basler Rechtsprofessor Bijan Fateh-Moghadam hatte sich den kühnsten Gedanken des Abends ganz für den Schluss aufgehoben. Das Image der Schweiz müsse unter der Sarco-Debatte nicht zwangsläufig leiden, sagte Fateh-Moghadam. «Im Gegenteil, das Land kann sich womöglich als sehr liberale Gesellschaft positionieren, die selbst Ausländern ein gutes Sterben ermöglicht.»