Nebelspalter, 15.01.2025

«Bei linken Politikern sieht man, dass sie weiterhin an die Besserung der Täter glauben»

Stört sich an zu laschen bedingten Freiheitsstrafen: Nationalrätin Nina Fehr Düsel (SVP/ZH) im Interview. Bild: Keystone

Stört sich an zu laschen bedingten Freiheitsstrafen: Nationalrätin Nina Fehr Düsel (SVP/ZH) im Interview. Bild: Keystone

Die Fakten: Nationalrätin Nina Fehr Düsel (SVP/ZH) hat einen Vorstoss eingereicht, der eine Verschärfung der bedingten Freiheitsstrafe in der Schweiz fordert.

  • Dieser Vorstoss hat viel Aufmerksamkeit erregt, da viele Bürger das Schweizer Strafrecht als zu milde empfinden.
  • So hat etwa eine repräsentative Umfrage des «Nebelspalters» ergeben, dass 80 Prozent der Bevölkerung härtere Strafen fordern, insbesondere bei Vergewaltigungen.

Warum das wichtig ist: Urteile wie jenes gegen einen ehemaligen Richter, der trotz Verurteilung wegen Vergewaltigung keinen Tag ins Gefängnis musste, sorgen für Unmut.

  • Eine Verschärfung der Bewährungsstrafen könnte das Vertrauen in das Justizsystem stärken, abschreckend auf Täter wirken und damit die Sicherheit in der Gesellschaft erhöhen.

Der «Nebelspalter» hat Nina Fehr Düsel interviewt.

Die wichtigsten Aussagen von Nina Fehr Düsel:

  • «Delikte wie Sexualstraftaten, Raub oder schwere Körperverletzung fallen oft in einen Bereich, in dem es nur zu kurzen Freiheitsstrafen kommt, sagen wir etwa eineinhalb Jahre. In solchen Fällen haben die Richter dann die Möglichkeit, eine bedingte Strafe zu verhängen, wodurch der Täter keinen einzigen Tag im Gefängnis verbringen muss.»
  • «Viele Richter sind bei ihren Urteilen sehr zurückhaltend. Es will zum Beispiel kaum ein Richter eine Verwahrung aussprechen, weil er befürchtet, sich zu irren oder zu massiv vorzugehen, oder weil es gegen die Menschenrechte verstossen könnte.»
  • «Viele Menschen in der Bevölkerung sind sich dieser Möglichkeiten und der daraus resultierenden milden Urteile gar nicht bewusst.»
  • «Einige Vertreter aus der SP und den Grünen haben mir gesagt, dass sie Sympathien für das Anliegen haben. Dennoch trauen sie sich nicht, es zu unterschreiben, weil sie das Gefühl haben, dass die Mehrheit ihrer Partei zurückhaltend ist.»
  • «Ich habe das Gefühl, dass der Vorstoss gute Chancen hat. Generell merke ich, wenn ich etwas Strafrechtliches angehe, das punktuelle Verschärfungen betrifft, dass ich über die Parteigrenzen hinweg ein positives Echo erhalte.»

Zur Person

Nina Fehr Düsel ist Juristin und Politikerin der SVP. Seit 2023 ist sie Mitglied des Nationalrats und war zuvor im Zürcher Kantonsrat tätig.

Als promovierte Unternehmensjuristin arbeitet sie im Kader eines Versicherungskonzerns. Fehr Düsel ist verheiratet, Mutter von zwei Kindern und lebt in Küsnacht. Sie ist die Tochter des ehemaligen SVP-Nationalrats Hans Fehr.

 

Frau Fehr Düsel, der «Tages-Anzeiger» hat über Ihren Vorstoss berichtet, der eine Verschärfung der bedingten Freiheitsstrafe verlangt. Der Beitrag ist auf grosses Feedback gestossen, fast 200 Kommentare wurden hinterlassen. Viele sind Ihrer Meinung. Hat sie das beim «Tages-Anzeiger» überrascht?

Das hat mich nicht wirklich überrascht. Ich merke bei diesen Themen, wenn es um die Verschärfung des Strafrechts geht, dass ein Grossteil der Bevölkerung der Meinung ist, dass wir in der Schweiz eher ein zu mildes Strafrecht haben. Das merke ich auch im Parlament. Wenn ich etwas einbringe und Unterschriften sammle, dann wird das von vielen Leuten aus verschiedenen Parteien unterschrieben und nicht nur von den Bürgerlichen. Von daher hat mich das natürlich gefreut. Das ist mir auch relativ deutlich geworden, als ich die Kommentare kurz durchgegangen bin.

Letzten September hat der «Nebelspalter» zusammen mit dem Institut Sotomo eine Umfrage zu diesem Thema durchgeführt, die gezeigt hat, dass 80 Prozent der Schweizer härtere Strafen für Vergewaltigung fordern. Warum ist es Ihrer Meinung nach politisch trotzdem so schwierig, so etwas durchzusetzen, obwohl es in der Bevölkerung einen breiten Konsens gibt?

Bei den Politikern hat man den Eindruck, dass niemand bereit ist, sich die Finger zu verbrennen. Man merkt das auch bei den Richtern: Viele sind bei ihren Urteilen sehr zurückhaltend. Es will zum Beispiel kaum ein Richter eine Verwahrung aussprechen, weil er befürchtet, sich zu irren oder zu massiv vorzugehen, oder weil es gegen die Menschenrechte verstossen könnte. Ich habe manchmal das Gefühl, dass sich gewisse Politiker lieber zurückhalten, anstatt zuzugeben, dass sie in bestimmten Themen nicht ausreichend Bescheid wissen. Sie ziehen es vor, nichts zu tun, um am Ende keine Fehler zu machen. Besonders bei den linken Politikern sieht man, dass sie weiterhin an die Besserung der Täter und vor allem an die Resozialisierung glauben.

Einige Vertreter aus der SP und den Grünen haben mir gesagt, dass sie Sympathien für das Anliegen haben. Dennoch trauen sie sich nicht, es zu unterschreiben, weil sie das Gefühl haben, dass die Mehrheit ihrer Partei zurückhaltend ist. Trotzdem nehme ich wahr, dass es eigentlich eine breite Zustimmung gibt. Die Frage ist immer, wie man das Anliegen genau angeht. Bei meinem Vorstoss habe ich festgestellt, dass es nicht nur die Vergewaltigung betrifft, sondern auch andere schwere Delikte, wie schwere Körperverletzungen oder sexuelle Handlungen mit Kindern. Bei diesen Delikten bekommen Ersttäter in 80 Prozent der Fälle nur eine bedingte Strafe.

«Es kann nicht sein, dass jemand eine Freiheitsstrafe von fast zwei Jahren bekommt und trotzdem keinen einzigen Tag im Gefängnis verbringen muss, weil die Strafe nur bedingt ausgesprochen wird.»

Deshalb habe ich entschieden, das Problem im allgemeinen Teil anzugehen. Es kann nicht sein, dass jemand eine Freiheitsstrafe von fast zwei Jahren bekommt und trotzdem keinen einzigen Tag im Gefängnis verbringen muss, weil die Strafe nur bedingt ausgesprochen wird. Ich wollte das Thema nicht auf einzelne Delikte beschränken, sondern auf jeden Strafrahmen anwenden. So scheint es mir eleganter und vor allem umfassender, da es verschiedene schwere Delikte betrifft.

Nina Fehr Duesel (SVP/ZH) diskutiert mit Gerhard Andrey (GP/FR) im Nationalratssaal.
Nina Fehr Duesel (SVP/ZH) diskutiert mit Gerhard Andrey (GP/FR) im Nationalratssaal. Für ihren Vorstoss habe sie auch mit linken Politikern gesprochen – von SP und Grünen hat aber niemand unterschrieben. Bild: Keystone

Bei welchen Delikten ist diese Problematik der rein bedingten Strafen am grössten? Beobachten Sie dies beispielsweise auch bei Tötungsdelikten?

Ich habe die Erfahrung, dass es beim Mord, wenn man den Strafrahmen betrachtet, jeweils zu einer unbedingten Freiheitsstrafe kommt. Mord zählt wirklich zu den schlimmsten Delikten. Aber bei Sexualstraftaten, und da gibt es ja verschiedene, nicht nur Vergewaltigung, sondern auch Schändung oder sexuelle Handlungen mit Kindern, sieht die Lage anders aus. Auch bei Delikten wie Raub oder bei schwerer Körperverletzung ist es ähnlich. Dazu kommen Bandendelikte, wie Messerstechereien. Diese Delikte fallen oft in einen Bereich, in dem es nur zu kurzen Freiheitsstrafen kommt, sagen wir etwa eineinhalb Jahre.

«Viele Menschen in der Bevölkerung sind sich dieser Möglichkeiten und der daraus resultierenden milden Urteile gar nicht bewusst.»

In solchen Fällen haben die Richter dann die Möglichkeit, eine bedingte Strafe zu verhängen, wodurch der Täter keinen einzigen Tag im Gefängnis verbringen muss. Sogar eine Geldstrafe kann unter bestimmten Umständen bedingt ausgesprochen werden. Viele Menschen in der Bevölkerung sind sich dieser Möglichkeiten und der daraus resultierenden milden Urteile gar nicht bewusst.

Im «Tages-Anzeiger»-Artikel wird Ihr Anliegen den Kosten gegenübergestellt, die diese zusätzlichen Gefängnisaufenthalte verursachen würden. Halten Sie dies für ein faires Argument?

Nein, nicht unbedingt, denn ich bin der Meinung, dass man bei der Sicherheit zuletzt sparen sollte. Wenn man Täterschutz betreibt oder milde Strafen verhängt, nur um Kosten zu sparen, ist das für mich kein akzeptables Argument. Es gibt sicherlich andere Bereiche, in denen man Einsparungen vornehmen kann, aber nicht bei der Sicherheit der Bevölkerung. Ausserdem sollte der Abschreckungseffekt nicht unterschätzt werden. Wenn es jemanden davon abhält, ein Delikt zu begehen, können dadurch ebenfalls Kosten eingespart werden. Man darf auch die Opfer nicht vergessen, die beispielsweise jahrelang psychiatrisch behandelt werden müssen, was ebenfalls enorme Kosten verursacht. Deshalb muss man den gesamten Rahmen betrachten, denn die derzeitige Situation belastet die Gesellschaft ebenfalls stark.

Jetzt haben Sie eine grosse Koalition für diesen Vorstoss zusammen. Wie schätzen Sie die Chancen Ihres Vorstosses ein?

Ich habe das Gefühl, dass es gute Chancen hat. Generell merke ich, wenn ich etwas Strafrechtliches angehe, das punktuelle Verschärfungen betrifft, dass ich über die Parteigrenzen hinweg ein positives Echo erhalte. Besonders bei Fällen wie dem des Churer Ex-Richters oder der Vergewaltigung eines Au-pairs in Zürich, wo der Täter ebenfalls nur eine bedingte Strafe von 22 Monaten erhalten hat und keinen Tag im Gefängnis verbringen musste, zeigt sich die Notwendigkeit für Anpassungen. Solche Fälle kommen immer wieder ans Tageslicht, und ich glaube, es wird zunehmend erkannt, dass punktuelle Anpassungen im Strafrecht, insbesondere im Sexualstrafrecht, notwendig sind. Politiker scheinen sich dessen ebenfalls bewusst zu sein. Daher habe ich den Eindruck, dass es auf jeden Fall zu einer regen Diskussion kommen wird. Mit den bisherigen Rückmeldungen bin ich zuversichtlich, dass es gute Chancen gibt. Ich bleibe auf jeden Fall dran und bin gespannt, wie es im Rat behandelt wird.