Tagesanzeiger, 13. Mai 2025

Eine 15-Jährige ist tot. Eine andere Jugendliche ist die mutmassliche Täterin. Der Fall Berikon zeigt, wie die Schweizer Justiz auf schwere Straftaten Minderjähriger reagiert.

Naturlandschaft mit Wiese und Wald, blauer Himmel mit Wolken, im Vordergrund liegen Blumentopf und Plüschbär auf dem Gras.

Die Tat von Berikon AG erschüttert – und wirft die Frage auf, wie es zu solch extremen Gewaltausbrüchen unter Jugendlichen kommen kann.Foto: Tamedia

Der Angriff von Berikon im Kanton Aargau, bei dem eine 15-Jährige mutmasslich durch eine 14-Jährige tödlich verletzt wurde, wirft viele Fragen auf. Was passiert mit der mutmasslichen Täterin? Wie ist der Schweizer Jugendstrafvollzug auf solche Taten vorbereitet – und wie häufig kommt es zu Gewaltdelikten unter Jugendlichen? Ein Überblick.

Welche Strafe erwartet die mutmassliche Täterin?

Die mutmassliche Täterin ist 14 Jahre alt – und damit strafmündig. Sie fällt unter das Schweizer Jugendstrafrecht, das auf Erziehung und Integration abzielt, nicht auf Strafe im klassischen Sinne. Freiheitsentzug ist erst ab 15 Jahren erlaubt. Stattdessen kann das Gericht Massnahmen wie betreute Wohnformen, ambulante Therapien oder stationäre Unterbringungen in geschlossenen Einrichtungen anordnen – insbesondere bei schweren Delikten wie Totschlag oder Mord.

Sven Zimmerlin, Dozent für Strafrecht und Strafprozessrecht an der ZHAW, erklärt dazu: «Die Höchststrafe für eine im Tatzeitpunkt 14-jährige Täterin beträgt 10 Tage persönliche Leistung, also etwa Sozialdienst. Das Mädchen wird als Strafe keinen Freiheitsentzug erhalten.»

Freiheitsentzug ist in diesem Alter nicht vorgesehen. Zimmerlin erklärt: «Wohl aber ist denkbar, dass dereinst eine sogenannte Schutzmassnahme angeordnet wird, die so lange dauern kann, bis ihr Zweck erreicht ist. Als deren einschneidendste gilt die geschlossene Unterbringung. Diese kann auch vorsorglich angeordnet werden, also theoretisch schon heute. Parallel dazu wird eine medizinische oder psychologische Begutachtung angeordnet.»

Ist der Schweizer Strafvollzug auf so junge Täterinnen vorbereitet?

«Es gibt in der Schweiz durchaus Einrichtungen, die für Mädchen geschlossene Unterbringungen anbieten», so Zimmerlin. Sowohl während der Untersuchung angeordnete Schutzmassnahmen als auch die endgültige Unterbringung nach einem Urteil gegen eine junge Täterin können in privaten Einrichtungen vollzogen werden. Warum ist das notwendig? «In den üblichen staatlichen Haftanstalten verfügt man nicht immer über die geeigneten Möglichkeiten.» Zum Beispiel nehme das Jugendgefängnis Limmattal Dietikon nur männliche Jugendliche auf, und das Bezirksgefängnis Dielsdorf ZH nehme zwar Frauen auf, jedoch nur erwachsene.

Zunächst sei es denkbar, dass das Mädchen in einer für Kinder beziehungsweise junge Jugendliche geeigneten psychiatrischen Einrichtung untergebracht werde, sofern dies aufgrund ihres aktuellen Gesundheitszustandes erforderlich sein sollte. Der Kanton Aargau und auch der Kanton Zürich verfügten über entsprechende Unterbringungsmöglichkeiten. Zimmerlin erklärt jedoch, dass die Nachfrage zur Unterbringung von Jugendlichen in der Deutschschweiz hoch sei, vor allem in der forensischen Jugendpsychiatrie: «Plätze sind sehr knapp.»

Welches sind die politischen Folgen dieses Delikts?

Kaum war der Fall öffentlich, forderte die Zürcher SVP-Nationalrätin Nina Fehr Düsel auf X eine Verschärfung des Jugendstrafrechts. Ihre Forderung: Bei besonders schweren Verbrechen sollen künftig auch Jugendliche nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden können.

Ein entsprechender Vorstoss wurde vom Nationalrat kurz vor der Tat von Berikon knapp angenommen und liegt nun im Ständerat. Die Diskussion erinnert an ähnliche Debatten in Deutschland. 2023 haben im deutschen Freudenberg zwei Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren eine jugendliche Freundin getötet. Die Täterinnen waren jedoch nach deutschem Recht nicht strafmündig.

Wie häufig sind schwere Gewaltdelikte durch unter 15-Jährige in der Schweiz?

Solche Taten sind selten. Gemäss der Statistik der Jugendstrafurteile und des Jugendsanktionsvollzugs des Bundesamts für Statistik wurden im Jahr 2023 schweizweit neun Jugendliche wegen Tötungsdelikten verurteilt – das Bundesamt für Statistik unterscheidet dabei allerdings nicht nach Altersgruppen. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik wurden im selben Jahr 6 vollendete und 29 versuchte Tötungsdelikte mit minderjährigen Tatverdächtigen registriert. Nur zwei dieser Taten wurden gemäss NZZ von Mädchen verübt.

Gibt es Hinweise auf eine Zunahme von Messerdelikten unter Jugendlichen?

Statistiken erfassen nicht systematisch, ob bei Jugendgewaltdelikten ein Messer verwendet wurde. Was sich aber sagen lässt: Seit Jahren nehmen Messerdelikte zu, 2024 gab es schweizweit 401 Fälle von schwerer Gewalt mit Stichwaffen, das entspricht einer Zunahme von 78 Prozent in den vergangenen fünf Jahren. Diese Entwicklung betrifft nicht ausschliesslich Jugendliche, deutet aber darauf hin, dass Messer in Gewaltsituationen häufiger mitgeführt oder eingesetzt werden.