NZZ, 04.04.2024

«Fakten» und «Sachpolitik» gehören zu Nina Fehr Düsels Standardwortschatz.
«Fakten» und «Sachpolitik» gehören zu Nina Fehr Düsels Standardwortschatz.

Die Politikerin aus Küsnacht wurde erst vergangenen Oktober gewählt. Und war schon in fast allen Medien. Wie hat sie das geschafft?

Es gibt frisch gewählte Parlamentarier, denen eilt ein Ruf voraus, bevor sie überhaupt richtig angefangen haben. Nina Fehr Düsel ist so eine Nationalrätin. Das sei noch eine Gute, steckten sich linke Frauen während der Frühlingssession zu. SVP-Mitglied zwar, aber eine Konstruktive, Moderne, mit der man vielleicht den einen oder anderen Kompromiss schliessen könne. Bei der Wiedereinführung des Doppelnamens etwa. Oder beim Straftatbestand Stalking. Die «Sonntags-Zeitung» lobte, sie entspreche nicht dem «Klischee» einer SVP-Frau, da sie sich Arbeit und Familie mit ihrem Mann aufteile. Ausserdem spricht sie gut Französisch, eine Fähigkeit, die nicht viele in der SVP-Fraktion mitbringen.

Zu viel Lorbeeren von links sind für eine rechte Politikerin verdächtig. Doch auch Bürgerliche im Bundeshaus attestieren ihr, das politische Handwerk im Griff zu haben. Und SRF lud sie bereits in der zweiten Session in die «Arena» ein. Es ging um Asylpolitik, kein Thema, bei dem es in der SVP an meinungsstarken Spezialisten fehlt. Fehr Düsel vertrat die Parteilinie und wirkte um einiges souveräner als die Vertreterin einer NGO auf der anderen Seite. So souverän, dass man sie sich als Nachfolgerin der Migrationspolitikerin Martina Bircher vorstellen könnte, sollte diese es in den Aargauer Regierungsrat schaffen.

Was macht diese Frau richtig?

«Ich argumentiere mit Fakten», sagt Fehr Düsel. Sie sitzt an diesem Dienstagnachmittag am Sitzungstisch in ihrem Büro im Gebäude der Swiss Life in der Nähe der Zürcher Rentenwiese, wo sie im oberen Kader des Rechtsdienstes arbeitet. «Fakten», das wird während des Gesprächs schnell klar, scheint eines der Lieblingswörter von Fehr Düsel zu sein, ebenso wie «Sachpolitik». «Mir geht es um Sachpolitik und nicht darum, möglichst schnell etwas zu gelten», ist ihre Antwort auf die Frage, welche Strategien sie verfolge, um es in Bern zu Einfluss zu bringen. Ihre Wahl im Oktober war überraschend, Fehr Düsel hat eine Bisherige verdrängt.

Vorteil Frau

Zumindest medial hat Fehr Düsel einen Vorteil: Sie ist eine Frau. Und Frauen in der SVP fallen auf. 12 von 62 SVP-Nationalräten sind weiblich und eine von sechs Ständeräten. Der Wettkampf ist daher entspannter. Sogar beim Kernthema Migration. Sarah Bütikofer, Politikwissenschafterin an der Universität Zürich, drückt es so aus: «Es ist sekundär, ob bereits andere Politiker im gleichen Sachbereich ‹Arena›-tauglich sind.» Nina Fehr Düsel werde trotzdem genug Chancen auf medienwirksame Auftritte haben.

Laut Bütikofer ist Fehr Düsels Lebensentwurf auch nicht so aussergewöhnlich für eine SVP-Frau, wie er jetzt medial dargestellt wird. Die Wissenschafterin forscht zur Vereinbarkeit von Politik und Familie und sagt: «Praktisch alle SVP-Nationalrätinnen sind berufstätig.» In den traditionellen bürgerlichen Parteien trifft man eher noch Politikerinnen an, die ein Hausfrauenmodell leben.

Der Grund: In der SVP kamen Frauen relativ spät an Ämter. Ihre Nationalrätinnen sind daher deutlich jünger als der durchschnittliche Schweizer Parlamentarier. Und unter jüngeren Schweizerinnen und Schweizern ist es üblich, dass Mütter berufstätig sind, zumindest in Teilzeit. «Die SVP widerspiegelt diesen Bevölkerungstrend», sagt Bütikofer. Auch bei den jüngeren Vätern. Der Aargauer Nationalrat Benjamin Giezendanner beispielsweise lebt zwar ein traditionelles Familienmodell, hat sich aber auch schon öffentlich für Kinderkrippen ausgesprochen.

Bei linken Frauen haben die Vorschusslorbeeren für Nina Fehr Düsel daher auch einen leicht verzweifelten Unterton. Die «Frauenlegislatur» der vergangenen vier Jahre ist Geschichte. Im Jahr 2019, als geschätzt etwa 500 000 Frauen auf die Strasse gingen, stieg der Frauenanteil im Parlament im Nachgang auf einmalige 42 Prozent an, was auch mit den vielen Kandidatinnen und der «grünen Welle» zu tun hatte.

Seither ist viel passiert. Putin griff die Ukraine an, die Flüchtlingszahlen und die Preise stiegen, und die Schweizer wählten wieder konservativer. Die SVP gewann, die Grünen verloren, und der Frauenanteil sank auf 38,5 Prozent. Und die Schweiz sieht sich mit Ansprüchen an allen Ecken und Enden konfrontiert, von der AHV bis zur Armee.

Entsprechend gedämpft ist die Stimmung bei linken Politikerinnen, die weniger Chancen für Projekte wie eine Elternzeit oder staatlich mitfinanzierte Kitas sehen. Und über Lohngleichheit spricht auch kaum jemand mehr. Aber mit der modernen Fehr Düsel liesse sich vielleicht etwas machen, hoffen Feministinnen. Schliesslich sei sie ja auch für den zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub gewesen.

Die SVP gegen alle

Ein Händchen für Kompromisse könnte der SVP nicht schaden. Sie ist die Partei, welche die meisten Abstimmungen im Parlament und im Volk verliert, wie eine Auswertung der «Sonntags-Zeitung» im Herbst zeigte. Aber man darf Fehr Düsels konzilianten Auftritt auch nicht missverstehen: SVP bleibt SVP.

In den wichtigen Themen wie Migration, Europapolitik oder Sicherheit ist Fehr Düsel auf Parteilinie. Anders verschafft man sich bei der rechten Wählerschaft keinen Respekt. «SVP-Wählerinnen geben der Partei ihre Stimme, weil sie deren Positionen in den Kernthemen überzeugen», so Bütikofer. Aufs Geschlecht kommt es nicht an. So gibt es in der SVP kaum Wählerinnen, die bewusst Frauen auf die Liste setzen, das zeigt eine Auswertung von Sotomo, wo Bütikofer als Projektpartnerin tätig ist. Ausschlaggebend ist, ob sich Politikerinnen innerhalb der Partei und in der Öffentlichkeit profilieren können.

Fehr Düsel hat immer wieder ein Gespür für die richtigen Themen bewiesen. Zuletzt im März. Nach dem Messerangriff auf einen orthodoxen Juden in Zürich forderte sie härtere Strafen für jugendliche Straftäter. 70 Nationalräte von rechts bis links unterschrieben, diverse Medien berichteten. Fehr Düsel beschäftigt sich schon lange mit Jugendkriminalität. 2019 reichte die Juristin zusammen mit dem Parteikollegen Valentin Landmann im Zürcher Kantonsrat eine parlamentarische Initiative ein, die höhere Strafen für Jugendliche bei schweren Delikten forderte – erfolglos. Als Mitinitiantin der Anti-Chaoten-Initiative hatte Fehr Düsel ausserdem wesentlichen Anteil daran, dass Zürich die Regeln für Demonstranten verschärft. Die Bevölkerung nahm am 4. März den Gegenvorschlag an.

Hart im Nehmen

Fehr Düsel ist auch selbst hart im Nehmen. In der Vergangenheit wurde sie wegen ihrer Abstecher in die Modelwelt oder aufgrund ihres Einsatzes für Tierrechte manchmal etwas belächelt. Oder als schwächere Kopie ihres Vaters, dem bekannten Politiker Hans Fehr, betrachtet. Und kurz nach ihrem Sprung in den Nationalrat kursierten zwielichtige Plagiatsgerüchte über Fehr Düsels Dissertation, die derzeit von der Universität Zürich «standardmässig» abgeklärt werden, wie die Politikerin es nennt: «Das ist nur eine Formalie.» Sie ist überzeugt, dass die anonymen Vorwürfe politisch motiviert waren und nichts davon übrig bleiben wird.

Braucht es eine dicke Haut in einer Partei, in der mehrheitlich Männer das Sagen haben? Frauenförderung gibt es nicht. Braucht es auch nicht, wenn man SVPlerinnen fragt, denn das Geschlecht spiele keine Rolle, «es zählt die Leistung», sagt Fehr Düsel. Nur bei der Galanterie, da sind die Rollen klar verteilt, wie Sandra Sollberger, Baselbieter Nationalrätin und Mitglied des SVP-Parteiausschusses, beobachtet. «Bei der SVP halten die Männer den Frauen noch die Türe auf», sagt sie und lacht. Linke Frauen würden jeweils neidisch.

Sollberger freut sich über die Wahl von Nina Fehr Düsel: «Es braucht Mut für junge Frauen, mit dem Label SVP auf der Stirn durch die Welt zu laufen», sagt sie und repliziert damit die Erzählung der SVP gegen den Rest. Wie viel Einfluss Nina Fehr Düsel sich verschaffen werde, sehe man dann, sagt Sollberger. Für eine Beurteilung sei es zu früh.

Die Baselbieterin selbst gehört zum einflussreichen Kern der Partei, rund um den Fraktionschef Thomas Aeschi oder die Ems-Chefin Magdalena Martullo-Blocher. Und wie diese ist Sollberger neuerdings auch gegen das Stromgesetz, über das die Bevölkerung im Juni abstimmt, sie hat ihre Meinung geändert. Hilft das? Die Antwort bleibt im Ungefähren: «Nein», sagt Sollberger, das spiele keine «abschliessende» Rolle: «In der SVP gibt es Platz für verschiedene Meinungen.» Die Kernthemen seien entscheidend.

Ist das nun eine gute Nachricht für Fehr Düsel? Sie war bisher für das Stromgesetz, will sich nun aber noch einmal eine abschliessende Meinung bilden. «Wichtig ist, dass die Schweiz offen bleibt für alle Technologien und die Stromversorgung gesichert ist», sagt sie. Diplomatisch, wie man es von ihr gewohnt ist.