Die Spuren einer durchzechten Nacht sind oft nur allzu gut sichtbar, die Spuren der Abfallsünder hingegen eher weniger.
Littering verwüstet nicht nur Pärke und Seeufer, sondern auch die Sprache. Statt mit den Leuten über Abfall zu reden, werden «peopletalks» organisiert, es gibt «clean-up-days» und «clean-up-games», und das neue Verb für die korrekte Entsorgung von Abfällen heisst offenbar «fairmüllen». Die Stadt Olten startete vor einigen Jahren eine ganze Kampagne rund um den fiktiven Müllmann Gianni Napoli, der auf Plakaten, auf Facebook und in Werbespots in Pseudo-Italodeutsch kommunale Verhaltensregeln im Umgang mit Wertstoffen von sich gab: «Hei! Muesch wärfe in Kübel alti Schachtla! Capito?!»
Diese Beispiele stammen von einer «Littering-Toolbox»-Website, die gemäss Selbstdeklaration «Einfälle gegen Abfälle» sammelt. Der Kanton Zürich war massgeblich an der Einführung dieses virtuellen Werkzeugkastens beteiligt. Die meisten Einfälle gegen Abfälle sind allerdings viel weniger originell als Gianni Napoli. Wenn nicht gerade Schulklassen sensibilisiert werden – es gibt laut Littering-Toolbox «spannende, gebrauchsfertige Ideen von Swiss Recycling», die sogar auf den Lehrplan 21 angepasst sind –, ist die Schaffung von Sanktionen das beliebteste Mittel gegen die Abfallplage.
Weniger als eine Busse pro Monat
Diese Waffe ist allerdings bemerkenswert stumpf. Laut einer Umfrage des Amtes für Abfall, Wasser, Energie und Luft (Awel) verfügen zwar mindestens 42 Gemeinden im Kanton Zürich über eine gesetzliche Grundlage, um Ordnungsbussen für Littering auszusprechen. Nur in gut der Hälfte, in 24, werden solche Bussen jedoch auch tatsächlich verteilt. Wer wegen Litterings gebüsst wird, muss wirklich Pech haben: In der Regel werden pro Gemeinde weniger als zehn Ordnungsbussen pro Jahr verteilt, also weniger als eine pro Monat. Nur gerade zwei Städte kommen gemäss der Awel-Umfrage auf über 50 Bussen in zwölf Monaten. Dabei betrachtet knapp jede dritte Gemeinde Littering als grosses oder sehr grosses Problem. Doch wieso werden die Abfallsünder so selten zur Verantwortung gezogen? Warum werden kaum Bussen verteilt? Das Hauptproblem, dies betont die Zürcher Kantonsregierung seit Jahren, ist, dass die Verursacher meist unerkannt bleiben.
«Viele Gemeinden sind überfordert»
«Es ist in den letzten Jahren schlimmer geworden», sagt die Küsnachter Kantonsrätin Nina Fehr Düsel (svp.). «Das sagen mir auch Bekannte aus Deutschland. Die Schweiz sei nicht so sauber und rein wie noch vor zehn Jahren. Wir sind zu einer Ausgangsgesellschaft geworden, und die Pandemie hat diesen Trend noch begünstigt.» Fehr Düsel beschäftigt sich seit Jahren mit dem Littering-Problem und hat dazu zwei Anfragen im Parlament eingereicht. Natürlich sei Abfall primär eine kommunale Aufgabe, doch viele Gemeinden zeigten sich mit dem Littering überfordert. «Ihnen fehlen unter Umständen die Ressourcen», sagt die SVP-Politikerin, «und da könnte der Kanton tätig werden, etwa, indem er Mittel aus dem Naturschutzfonds für Informationskampagnen bereitstellt.»
Letztlich müsse Littering ganzheitlich angegangen werden. Es brauche ein Massnahmenpaket, und dazu gehörten auch strengere Sanktionen. «Wir müssen ja nicht gleich so weit gehen wie Singapur. Aber in vielen Gemeinden beträgt die Busse für Littering 50 Franken. Das ist meiner Ansicht nach zu tief. Es sollten 100 Franken sein, im Wiederholungsfall sogar 200 oder 300 Franken.» Noch diesen Monat werde sie ein entsprechendes Postulat einreichen.
Nichts hält Fehr Düsel davon, die Reinigungskosten den Lebensmittelhändlern, Getränkeverkäufern oder Fast-Food-Anbietern aufzubürden. Ein entsprechendes links-grünes Postulat war im Gemeinderat der Stadt Zürich überwiesen worden. «Damit wird das Gewerbe einfach mit zusätzlichen Gebühren belastet, ohne dass sich etwas ändert. Wir müssen die Verursacher in die Pflicht nehmen, also die Leute, die ihren Abfall einfach auf der Strasse oder im Feld liegen lassen.»
Ein unmoralischer Akt
Auch die Urdorfer Kantonsrätin Sonja Gehrig (glp.) hat sich mit Littering beschäftigt und dazu unter anderem eine Anfrage im Parlament eingereicht. Aus ihrer Sicht ist Littering nicht einfach ein Gesetzesverstoss, sondern ein unmoralischer Akt. «Auf Kosten der Allgemeinheit illegal etwas zu entsorgen, ist egoistisch», sagt sie. Man müsse das Problem auf mehreren Ebenen angehen. «Dietikon und Schlieren starteten eine Sensibilisierungskampagne mit grossen Plakaten gegen Littering auf Müllabfuhrwagen. Viele Schulen organisieren Aktivitäten und gehen mit den Klassen auf Abfalltour.» Und was ist mit der Polizei, mit Bussen? «Die Polizei kann präventiv und abschreckend wirken, und es ist gut, wenn sie an neuralgischen Stellen oder am Wochenende Präsenz markiert. Büssen könnte die Polizei ja heute schon, nur weiss sie in den seltensten Fällen, wer den Abfall weggeworfen hat.»
Vielleicht braucht es aber einfach mehr Zivilcourage. «Ich habe auch schon Leute direkt angesprochen und sie freundlich dazu aufgefordert, bitte ihren Abfall nicht einfach liegenzulassen, sondern mitzunehmen. Das», sagt die GLP-Politikerin, «funktioniert erstaunlich gut.»