NZZ, 25.10.21

Der Regierungsrat folgt der Aufforderung aus Bern und verschärft die Corona-Massnahmen. Vorerst aber nur an den Schulen. Das sorgt für Kritik.

Alle Augen waren am Mittwoch nach Bern gerichtet. Der Bundesrat lud zu seiner allwöchentlichen Medienkonferenz, viele erwarteten weitere Corona-Massnahmen. Doch die Landesregierung tat: nichts. Stattdessen forderte Gesundheitsminister Alain Berset die Kantone dazu auf, Verschärfungen zu veranlassen.

Ein Tag später ist der Kanton Zürich dem Ruf aus Bern gefolgt. Der Regierungsrat gab am Donnerstag bekannt, dass die Schülerinnen und Schüler ab der 4. Klasse ab Dezember wieder eine Maske tragen müssen. Für Erwachsene gilt die Massnahme in allen Innenräumen und auf allen Stufen der Volksschule – vom Kindergarten bis zur 3. Sekundarklasse.

Fallzahlen schnellen in die Höhe

Der Regierungsrat begründet die Massnahme mit den sprunghaft angestiegenen Fallzahlen unter Kindern und Jugendlichen. Zusätzliche Schutzmassnahmen seien deshalb «im Sinne einer nächsten Eskalationsstufe» erforderlich.

Auf der Sekundarstufe II, an den Mittelschulen und den Berufsfachschulen seien zurzeit keine weitergehenden Massnahmen nötig, heisst es in einer Medienmitteilung, in der die Regierung erneut zum repetitiven Testen an den Schulen aufruft.

Die Maskenpflicht für Kinder ist umstritten. Die Kinderärzte-Fachgesellschaft Pädiatrie Schweiz hält in einer Empfehlung fest, dass Maskenobligatorien, Massentests und Quarantäneverfügungen «auf ein unerlässliches Minimum» reduziert werden sollten. Denn die Krankheitslast für Kinder sei für Covid-19 insgesamt geringer als etwa für Grippeviren.

Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte) sagt dazu: «Bei den Massnahmen orientieren wir uns immer am aktuellen Infektionsgeschehen.» Besonders bei den Vier- bis Elfjährigen seien die Fallzahlen letzte Woche stark angestiegen.

Diese Kinder könnten nicht mit einer Impfung geschützt werden, da sie erst ab 12 Jahren zugelassen ist. Deshalb habe man sich für eine Maskenpflicht ab der 4. Klasse entschieden. Bisher habe man versucht, den Schulen möglichst viel Freiraum zu bieten. «Doch das Virus hat sich so stark verbreitet, dass eine flächendeckende Massnahme für die Schulen einfacher umzusetzen ist.»

Experten erwarten, dass die Fallzahlen dennoch weiter ansteigen werden. Steht nun eine erneute Schulschliessung bevor? «Das ist die Ultima Ratio», sagt Steiner. «Eher kommen punktuell weitergehende Massnahmen infrage für Schulen, in denen besonders viele Ansteckungen auftreten.» Was das genau bedeutet, liess Steiner offen.

Dafür hielt die Bildungsdirektorin fest: «Wenn wir die Kinder schützen wollen, müssen wir bei den Erwachsenen den Hebel ansetzen. Und das geht nur über die Impfung.» Die Pandemie könne nicht in der Schule beendet werden, sondern durch die Gesellschaft.

Kritik von links bis rechts

In der Zürcher Politik sorgte der Entscheid des Regierungsrats für Kritik. SVP-Kantonsrätin Nina Fehr Düsel lancierte bereits letzten Winter zusammen mit anderen bürgerlichen Frauen eine Petition gegen Maskenpflicht und Impfdruck an den Schulen. Sie sagt: «Die Kinder sollte man mit solchen Massnahmen möglichst verschonen.» Stattdessen sei der Fokus auf flächendeckende Spucktests, regelmässiges Lüften und die Handhygiene zu legen.

Die Fallzahlen seien zwar am Steigen, sagt Fehr Düsel. Alarmismus ist in ihren Augen trotzdem nicht angebracht: «Mittlerweile konnten sich alle Erwachsenen impfen lassen, die wollten. Das war vor einem Jahr noch anders.» Und für Kinder sei Covid-19 grundsätzlich ohnehin harmlos.

Auch Hans-Jakob Boesch, Präsident der kantonalen FDP, ist skeptisch, ob der Entscheid des Regierungsrates tatsächlich evidenzbasiert ist. Das erklärte Ziel sei es schliesslich, die Überlastung der Spitäler zu verhindern. «Doch stecken sich die Hospitalisierten tatsächlich in den Schulen an?», fragt er und gibt gleich selber eine Antwort: «Ich sehe den Nutzen in dieser Massnahme ehrlich gesagt nicht.»

Laut Boesch sollte der Kanton lieber die Massentests an den Schulen vorantreiben und sich auf die Impfkampagne konzentrieren.

Was die Massentests an Schulen angeht, ist Boesch einer Meinung mit Andreas Daurù, Co-Präsident der kantonalen SP. Bereits im Sommer hätten die Sozialdemokraten obligatorische Massentests an allen Schulen gefordert, sagt Kantonsrat Daurù. «Einige Gemeinden haben das mittlerweile umgesetzt und fahren gut damit. Wir würden es daher begrüssen, wenn der Kanton das überall durchsetzen könnte.»

Dass die Bildungsdirektion sich vorerst mit einer Maskenpflicht begnügt, will Daurù nicht einleuchten: «Die Maskenpflicht war angesichts der steigenden Fallzahlen längst überfällig.» Dass man die Sekundar- und Kantonsschulen jetzt aber von dieser flächendeckenden Massnahme ausnimmt? «Das kann ich absolut nicht nachvollziehen», sagt Andreas Daurù.

Überhaupt ist man in SP-Kreisen unzufrieden mit der Pandemiebekämpfung der Bildungsdirektion unter Silvia Steiner. Man habe dort immer mit grosser Zurückhaltung agiert, sagt Daurù. «Die Bildungsdirektion wartet immer ab, bis ihre Massnahmen zu spät kommen. Das ist auch jetzt wieder so.» Daurù hätte sich gewünscht, dass man mehr aus den «Fehlern der Vergangenheit» gelernt hätte.

Auch vom Bund hatte sich die kantonale SP mehr erhofft. So spricht sich Daurù für eine verschärfte Maskenpflicht aus, etwa bei öffentlichen Veranstaltungen. Seine Partei, so verspricht er, werde sich auch künftig für eine effektivere Pandemiebekämpfung einsetzen. Auch wenn Daurù dabei primär die Landesregierung in der Pflicht sieht.

Andere Kantone setzen im Kampf gegen die Pandemie derweil voll auf die Impfung. In Luzern, Zug und im Thurgau können sich nun bereits Personen unter 65 Jahren für die Booster-Impfung anmelden. Dies, obwohl die Eidgenössische Kommission für Impffragen (Ekif) ihre Empfehlung dazu noch gar nicht abgegeben hat.