Limmattaler Zeitung, 05.09.2023

Ausschaffungen: Die SVP hantiert im Zürcher Kantonsrat mit falschen Zahlen. Der Regierungrat gesteht Fehler ein.

Blick in das Flughafengefängnis in Kloten: Die meisten Inhaftierten werden die Schweiz voraussichtlich verlassen müssen.

Wenn es um Ausländer geht, dann wird zuweilen sehr emotional diskutiert. So auch am Montag im Zürcher Kantonsrat. Ein weiteres Mal gab die SVP den Anstoss dazu. Nina Fehr Düsel (SVP, Küsnacht) und Hans Egli (EDU, Steinmaur) verlangten vom Regierungsrat in einer Interpellation eine Analyse zur Quote der Landesverweise. Konkret fragten sie sich, wie es denn sein könne, dass im Kanton Zürich lediglich 55 Prozent der kriminellen Ausländer ausgeschafft würden. Zu dieser Zahl war das Bundesamt für Statistik in einer Analyse gekommen. Im schweizweiten Vergleich, so Düsel und Egli, schneide der Kanton nicht gut ab. Der Volkswille von 2010 – Stichwort Ausschaffungsinitiative – werde missachtet. In seiner schriftlichen Antwort auf den Vorstoss wehrte sich der Regierungsrat und gab klar zu verstehen: Die im Vorstoss vorgebrachten Zahlen stimmten nicht. Es gebe «Zweifel an der Datenqualität der Bundesstatistik». So sei die Härtefallklausel im Jahr 2019 durch die Staatsanwaltschaften nur in 94 Fällen zum Tragen gekommen und nicht in 242 Fällen wie vom Bund behauptet. Der Regierungsrat nahm die festgestellten Diskrepanzen in den Zahlen aber als Gelegenheit, diese genauer zu analysieren.

Fehlendes Vertrauen in Justizdirektion
Fehr Düsel zeigte sich am Montag im Kantonsrat unzufrieden mit der Antwort des Regierungsrats. Er habe die Frage, weshalb 55 Prozent der kriminellen Ausländerinnen und Ausländer nicht ausgeschafft würden, nicht richtig erörtern können. Für sie ist klar: «Der Kanton Zürich ist zu wenig streng, dies muss geändert werden.» Ausschaffungen müssten zügig vollzogen werden, dies habe auch das Volk bei der Abstimmung zur Ausschaffungsiniative so verlangt. Die eidgenössische Ausschaffungsinitiative der SVP wurde 2010 mit 52,9 Prozent Ja-Stimmenanteil angenommen, zudem ergab sich eine Mehrheit von 17½ Ständen. Fehr Düsel erinnerte an die Attacke eines Eritreers auf zwei Frauen im Hauptbahnhof Zürich Anfang dieses Jahres und die Massenschlägerei an einer Eritrea-Demo in Opfikon am vergangenen Wochenende. Die Kosten für Polizeieinsätze und Spitalaufenthalte zahlten die Steuerzahlenden, so Fehr Düsel. Viele kriminelle Ausländerinnen und Ausländer würden nicht ausgeschafft, stattdessen gälten sie als Härtefälle. «Dabei ist in vielen dieser Länder, auch in Eritrea, gar kein Krieg.» Hans Egli (EDU, Steinmaur) holte die Kuscheljustiz-Keule hervor und schwang sie Richtung SP, insbesondere gegen die SP-Justizdirektorin Jacqueline Fehr, die am Montag ebenfalls im Rat sass. Egli sprach von einem Zahlensalat beim Kanton und sagte: «Ich vertraue dem unabhängigen Bundesamt für Statistik mehr als der befangenen Justizdirektion.» Das seien keine Kleinkriminellen, die verurteilt würden, betonte Egli weiter, sondern Straftäter. Auch bei den Verurteilungen wegen Vergewaltigungen sei der Kanton Zürich weniger streng als andere Kantone. Im Kanton Zürich käme es bei rund 22,8 Prozent der Fälle zu einer Verurteilung, in den Kantonen Fribourg und Waadt hingegen bei 40 und 60 Prozent. Es brauche eine einheitliche Praxis, forderte der EDUKantonsrat. Von einer befangenen Justizdirektion könne keine Rede sein, konterte Davide Loss (SP, Thalwil). Die Staatsanwaltschaften und Gerichte agierten unabhängig. Hingegen sei die Mehrheit der Richterinnen und Richter Mitglied der SVP. Die SVP habe zwar am meisten Richter, aber natürlich nicht die Mehrheit der Richter, korrigierte ihn Fraktionspräsident Martin Hübscher (SVP, Wiesendangen). Loss: «Wenn schon, gibt es eine SVP-Kuscheljustiz.» Der SVP gehe es nur um Stimmungsmache, sagte Lisa Letnansky (AL, Zürich). Jasmin Pokerschnig (Grüne, Zürich) schilderte ihre Erfahrungen in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies wie folgt: Rund 300 Insassen zähle diese, die Mehrheit davon Ausländerinnen und Ausländer. «Die haben von den Gerichten alle einen Landesverweis erhalten.» Regierungsrätin Jacqueline Fehr (SP) sprach von einer wichtigen Diskussion. Dadurch lasse sich Klarheit schaffen. Die Datengrundlage sei inzwischen aktualisiert worden, das Bundesamt für Statistik habe sich öffentlich für die falschen Zahlen entschuldigt. Ihre Botschaft: Der Fehler lag in erster Linie beim Bund. Wie der Antwort des Regierungsrats auf einen ähnlichen, aktuelleren Vorstoss zu entnehmen ist, war es offenbar zu Falscherfassungen gekommen.

Durch gute Integration zum Härtefall
Gemäss derselben Antwort sprach das Obergericht im Jahr 2020 für 63 Personen einen Landesverweis aus (91 Prozent) und die Bezirksgerichte für 289 Personen (83 Prozent). Wo kein Landesverweis ausgesprochen wurde, wurden meist Härtefälle geltend gemacht. Beim Obergericht war dies bei sechs Personen der Fall (9 Prozent), bei den Bezirksgerichten bei 56 Personen (16 Prozent). Die Staatsanwaltschaften wandten die Härtefallklausel im selben Jahr bei 70 Personen an (Landesverweise können sie nicht aussprechen), was 16 Prozent entspricht. In den meisten Fällen wurde die «soziale, familiäre und berufliche Integration der Täterin oder des Täters» als Grund genannt. Staatsanwaltschaften und Gerichte folgten dem gesetzlichen Auftrag, kriminelle Ausländerinnen und Ausländer des Landes zu verweisen, betonte Justizdirektorin Fehr im Kantonsrat. Dabei gelte es, jeden Fall einzeln zu überprüfen. «Zudem sind sie unabhängig und für die Anwendung des Gesetzes verantwortlich.» Wie in einem Rechtsstaat üblich, mische sich die Politik da nicht ein. «Auch das ist der Wille des Volkes.»